Ob im eigenen Bekanntenkreis oder in den Medien: Immer wieder hört man von toxischen Beziehungen, in denen es zu emotionaler, verbaler oder gar körperlicher Gewalt kommt. "Aber das passiert doch nur den anderen": Das zumindest denken sich viele. Dabei ist es oft alles andere als einfach, eine toxische Beziehung zu erkennen.

So ging es es auch Sarah (Name von der Redaktion geändert). "Es war für mich damals meine allererste Liebe, seine war ich angeblich auch", erzählt sie rückblickend. Dass er einige problematische Angewohnheiten hat, die ihrer Beziehung schaden könnten, das wusste die junge Frau. "Deswegen hatten wir sehr viele Gespräche, bevor wir zusammen gekommen sind. Er sagte, dass er sich unbedingt für mich ändern möchte. Ich sei das, was er sich für seine Zukunft wünscht." 

Beziehungsalltag zwischen Höhenflug und Horror

Sarah ist nichtsdestotrotz vorsichtig. Die Angst, verletzt zu werden, ist groß - auch wenn sie seinen Worten Glauben schenken möchte. Ein halbes Jahr dauert es schließlich, bis sie ein Paar werden. "Irgendwann war ich dann überzeugt, dass es tatsächlich zwischen uns klappen könnte."

Was dann folgt, ist ein einziges Auf und Ab: In der einen Woche erlebt Sarah Höhenflüge, in der anderen regelrechte Tiefpunkte. "Wir hatten entweder die Zeit unseres Lebens oder er hat plötzlich Scheiße gebaut, die mich absolut fertig gemacht hat." 

Anzeichen für eine toxische Beziehung

Erfahrungen wie diese hört Andrea Kollermann vom Gewaltschutzzentrum Kärnten öfter. Eine toxische Beziehung, das ist für sie eine Paarbeziehung, in der einer der Partner ganz bewusst und systematisch unterschiedliche Gewaltformen einsetzt, um eine Macht-Ungleichgewicht herzustellen. Dadurch werde versucht, Kontrolle zu etablieren: "mit dem Ziel im Hintergrund, einen Menschen in der Abhängigkeit für die eigene Bedürfnisbefriedigung zu benutzen." 

Durch ihre Arbeit im Gewaltschutzzentrum Kärnten weiß Andrea Kollermann, dass es oft Frauen sind, die von toxischen Beziehungen betroffen sind. Selbstverständlich können das aber auch Männer sein. Sichere Hinweise darauf, dass ein Partner in der Beziehung gewalttätig wird, gibt es nicht. Dennoch lassen sich bestimmte Anzeichen ausmachen, die darauf hindeuten können. "Betroffene Frauen beschreiben oft, dass die Männer am Anfang sehr liebevoll und charmant sind." Nicht selten kommt es allerdings kurze Zeit später zu einem genau gegenteiligen Verhalten des Partners: "Es ist ein krasser Wechsel zwischen extrem liebevollen und aggressiven Verhalten", fasst Kollermann zusammen. Am nächsten Tage tue der Partner dann oft so, als sei nichts passiert. 

"Wie eine Gehirnwäsche"

Für die andere Person kann dieses Hin und Her aus Nähe und Distanz einer regelrechten Gehirnwäsche gleichkommen. Die Expertin erzählt von Betroffenen, die oft nicht mehr richtig einschätzen können, ob ein solches Verhalten eigentlich normal ist. "Sie fragen sich dann: 'Ist das normal? Liegt das an mir?', weil sie von ihrem Partner dafür verantwortlich gemacht werden." In der Folge würden Betroffene immer weniger auf eigene Bedürfnisse achten und den eigenen Fokus auf seine Bedürfnisbefriedigung ausrichten. "Dadurch wird man auch noch manipulierbarer."

Von ihrer Arbeit mit Betroffenen, die in ihrer Partnerschaft emotionale oder körperliche Gewalt erfahren mussten, weiß Andrea Kollermann, dass diese im Laufe ihrer Beziehung oft zunehmend ein unbehagliches Gefühl bekommen. Ein Beispiel: "Wenn man merkt, dass der Partner beginnt, über Kleinigkeiten in meinem Leben zu wachen. Wenn das eigene Leben immer mehr fremdbestimmt ist."

Auch soziale Isolation kann ein wichtiges Manipulationsinstrument von toxischen Partnern darstellen: "Übertriebene Aufmerksamkeit kann auch dazu dienen, zu isolieren. Ganz nach dem Motto 'Wir haben uns, wir brauchen niemand anderen'." 

Warnsignale für eine toxische Beziehung

Eine toxische Beziehung in der Realität zu erkennen, ist oft nicht einfach. Besonders schwierig: Eine klare Grenze zwischen der Verliebtheit zu Beginn einer Beziehung und dem Übergang zu einer toxischen Beziehung zu ziehen. Denn das passiert in der Regel nicht von heute auf morgen. Viel mehr handelt es sich um einen schleichenden Prozess. Betroffenen ist oft nicht einmal bewusst, dass sie sich in einer ungesunden Paarbeziehung befinden, sagt Kollermann vom Gewaltschutzzentrum Kärnten.

Andrea Kollermann vom Gewaltschutzzentrum Kärnten
Andrea Kollermann vom Gewaltschutzzentrum Kärnten © Andrea Kollermann

Dazu kann es auch gehören, sich die Beziehungen innerhalb der eigenen Herkunftsfamilie anzuschauen. "Wo komme ich her? Komme ich aus einer Familie, in der Beziehungsgewalt - egal ob emotional, verbal oder körperlich - gelebt wird, sind das Muster, die mir vertraut sind." Damit man solche Verhaltensmuster nicht mit Liebe verwechselt, gilt es, besonders vorsichtig zu sein.

Toxische Verhaltensmuster nicht mit Liebe verwechseln

Umso wichtiger ist es, sich Anderen anzuvertrauen und sich Hilfe zu suchen. Je selbstbestimmter und autonomer man sein könne, umso sensibler werde man auch für Anzeichen einer toxischen Beziehung, erklärt die Expertin.

Die Beziehung von Sarah hält nicht lange. Immer wieder kommt es zu Situationen, die ihr zeigen, dass er sich ihr gegenüber zutiefst problematisch verhält. Auch nach der Trennung lässt er sie nicht in Ruhe: "Nach der Beziehung wurde es besonders toxisch. Es ist einfach sehr schwer zu begreifen, dass jemand, den du so liebst, sich dir gegenüber so respektlos verhält." Auch wenn es für die junge Frau schwer war, das zu erkennen, ist sie heute froh, sich rechtzeitig von ihrem Partner getrennt zu haben.

Hinweis: Dieser Artikel ist zunächst bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung erschienen.