Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Morgen feiert Alexander Van der Bellen seinen 79. Geburtstag. Seinetwegen wird kommende Woche die Öffentlichkeit wieder in den alten Reichsratssaal blicken, jedoch nicht, weil in dem geschichtsträchtigen Trakt des renovierten Parlaments eine Party zu Van der Bellens Ehren über die Bühne geht, sondern weil er für eine zweite Amtszeit angelobt wird. Am 26. Jänner 2029 endet diese. Van der Bellen, der zwei Jahre jünger als Biden und zwei Jahre älter als Trump ist, hat dann sein 85. Lebensjahr vollendet.

Wie der Bundespräsident seine zweite Amtsperiode anlegen wird, ist noch nicht klar. Große Unterschiede zur bisherigen Amtsführung sind allerdings kaum zu erwarten. Als der ehemalige Grünen-Chef wegen Wahlwiederholung und Wahlverschiebung sechs Monate später als geplant im Jänner 2017 angelobt wurde, wusste niemand, dass ein auf Ibiza aufgenommenes Video wie auch später aufgetauchte Chats die Innenpolitik in jahrelange Turbulenzen stürzen würde. Auch Corona, Russlands Überfall auf die Ukraine oder die beispiellose Teuerung zeichneten sich nicht am Horizont ab. Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.

Bei den Auslandsreisen sind vielleicht neue Akzente zu erwarten. Heuer noch soll es ins bald bevölkerungsreichste Land der Erde gehen: nach Indien. Laut UNO soll Indien im Frühjahr China im globalen Einwohnerranking vom ersten Platz verdrängen. Eine neue Zeitrechnung bricht dann an. Wirtschaftlich ringen nach wie vor die USA und China um die Vormachtstellung in der Welt, Indien kann da – noch – nicht mitmischen.

Hört man sich in der Hofburg um, könnte eine der größten Herausforderung der zweiten Amtszeit die nächste Regierungsbildung sein. Die Krise der Bundes-ÖVP, das Schwächeln der SPÖ in Kombination mit dem Wiedererstarken der FPÖ könnten uns bei der Nationalratswahl einen Dreikampf um Platz eins bescheren. Aber nicht nur das: Was ist, wenn sich nach der nächsten Wahl eine Zweierkoalition nur mit der FPÖ unter Herbert Kickl ausgeht? Was passiert, wenn nicht einmal mehr zwei Parteien über eine parlamentarische Mehrheit verfügen? Wer bildet dann den flotten Dreier? ÖVP-SPÖ-Neos? SPÖ-ÖVP-Grüne? Was ist, wenn eine "progressive Mehrheit" bestehend aus SPÖ, Grüne, Neos nur noch unter Einbindung von Wlaznys Bierpartei möglich ist, also als Quartett? Und was passiert, wenn die FPÖ auf Platz eins landet? Muss Van der Bellen Kickl, der als erstes und bisher letztes Regierungsmitglied seit 1945 von einem Bundespräsidenten aus dem Amt gejagt worden ist, als Kanzler angeloben?

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich Van der Bellen schon seit Längerem zu diesen Szenarien ausschweigt, er wolle sich nicht zu hypothetischen Fragen äußern. Aus gutem Grund: Kickl, der eben von Van der Bellen nach Ibiza in die Wüste gejagt worden ist, soll nicht in seiner Opferrolle bestärkt werden. Und der Bundespräsident kennt die Grenzen seiner Macht – Thomas Klestil wurden diese im Jahr 2000 schmerzlich vor Augen geführt.

Es sind übrigens nicht nur Journalisten, die sich mit solchen Szenarien beschäftigen. Auch in den Parteizentralen werden Planspiele angestellt – allerdings nach außen hin dementiert. Wir wissen seit 2000, dass der Erstplatzierte nicht automatisch Kanzler wird. In Wien macht Überlegung die Runde, Kickl könnte Norbert Hofer oder Manfred Haimbuchner bei der Regierungsbildung den Vortritt lassen, um der FPÖ den Gang in die Opposition zu ersparen – ein aus meiner Sicht wenig wahrscheinliches Szenario, weil Kickl noch eine Rechnung offen hat: mit Van der Bellen.


Ihr Michael Jungwirth