Pfingsten wird. Der Geist weht, wo er will, und manchmal halt auch der Ungeist. In Lignano werden am Wochenende 20.000 sogenannte „Risikotouristen“ aus dem Süden Österreichs erwartet. Die ersten Vorboten sind schon dort. In Summe erwartet der Touristenort 80.000, Heuschreckenalarm an der Adria. Das wird, so steht zu fürchten, eine Art GTI-Treffen für emotional Unterversorgte, im Rausch des Kollektivs aufdrehen und aufs Gas drücken, die Psychologie spricht vom Nachholeffekt.
Im Ort haben sie als Prophylaxe österreichische Polizeibeamte eingeschleust, um bei kulturellen Zusammenstößen Sprachbarrieren zu überwinden, erfährt man aus dem Bericht meiner Kollegin Claudia Mann, die aus Kärnten kommt, dem Epizentrum der Ausgehungerten, und in der Redaktion das Projekt „Next Gen“ leitet. Sie soll in den Ressorts junge Themensetzungen forcieren und das Bewusstsein für die Interessens- und Gefühlswelten junger Menschen stärken und systematisieren. Die Marke soll, was bei Menschen - auch dem Autor - schwerfällt, zurückaltern. Im Bericht hat sich Claudia, was das Verständnis für die Gefühlswelten angeht, echt Mühe gegeben. Sie unterlässt Verallgemeinerungen, der Großteil der jungen Teilnehmer am Massenexodus, schreibt sie, feiere friedlich. Allerdings entnimmt man ihrem Vor-Ort-Bericht auch die Information, dass das Reinigungspersonal in Lignano in hoher Zahl Extra-Schichten einlegen müsse. Getränke würden nur noch in Plastikbechern ausgegeben. Alle Springbrunnen der Stadt seien für das Wochenende trockengelegt worden. Jugendliche hatten sie in der Vergangenheit für Freikörper-Schaumpartys zweckentfremdet. Für „Verstöße gegen die Sicherheit und Ordnung“ müsse man heuer mit Strafen bis zu fünftausend Euro rechnen.
Das hätte in den jungen Jahren des Morgenpostlers zum Privatkonkurs der ganzen Familie geführt. Lignano, Caorle, es waren die ersten italienischen Worte, die man halbwegs richtig aussprechen hat können. Es waren auch die ersten kleinen Gegenwelten zur Welt des südlichsten Tales. Erst nach Tarvis zum Markt Polenta und (versteckte) Lederjacken kaufen, deren Geruch die Insassen bei der Grenzkontrolle verriet, dann für ein paar Tage im Spätsommer, wenn die Fremdenzimmer daheim leer waren, die große Reise ins kleine Lignano. Die Eltern saßen vorne, wir Kinder hinten, Audi DKW mit Gangschaltung neben dem Lenkrad, beige, um nicht zu viel grelle Farbe in die Welt zu setzen, im Koffer das Tuppergeschirr mit dem halben Kühlschrank von daheim. Im kleinen Hotel war ein kleines Zimmer gebucht, die Kinder schliefen in Zusatzbetten und mussten regelmäßig in Gruppenstärke gesucht werden, wenn sie wieder einmal auf dem weitläufigen Strand verlustig gegangen waren. In den Springbrunnen floss noch Wasser.
Okay, das war jetzt keine gute Gegenblende im strategischen Korridor von Claudia und „Next Gen“. Lesen Sie lieber Ihren Lokalaugenschein aus Lignano, hat mehr Frische und soziologische Relevanz als der Nostalgie-Schmalz aus den frühen Siebzigern. Einige Newsletter-Abonennten haben mich übrigens gefragt, wo meine Tipps aus dem Friulanischen geblieben seien. Also gut, hier einer als Alternativroute zum Lignano der trockenen Springbrunnen und nackten Oberkörper: Prepotto an der Weinstraße, Trattoria Da Mario, davor zum Weingut Hilde (Vigna Petrussa), kostet keine 5000 Euro und riecht auch nicht so intensiv im Kofferraum wie die alte Lederjacke unter dem verhüllten Ersatzreifen, die noch im elterlichen Keller hängt.
Ein staufreies und beseeltes Pfingstwochenende wünscht