In der Volksschule haben wir einst rot-weiß-rote Fahnen gebastelt und am Elixier der „immerwährenden Neutralität“ genippt. Daraus entsprang ein diffuses Gefühl des Aufgehobenseins: Andere mögen sich streiten, wir halten uns raus. Wir sind besser als die Streithähne. Dass es 1) in der Geschichte kein „immerwährend“ gibt, wir 2) zwangsläufig Interessen haben und 3) ein Trittbrett kaum Halt bietet, konnten wir damals nicht ahnen. Über die Jahrzehnte verblasste das Thema, es wurden ja auch am Nationalfeiertag von Jahr zu Jahr weniger Fahnen hinausgehängt. Österreichs Staatlichkeit verlor sich irgendwo zwischen Friedenssehnsucht und EU-Weltbürgertum, schließlich war die Mauer gefallen und unsere Geschichte ohnehin nationalistisch belastet. Geld fürs Heer fehlte auch. Rüstung war der Inbegriff des Bösen, Entrüstung viel besser. Also lieber knausrig und moralisch überlegen als umgekehrt.

Jetzt hat uns der böse Putin vom Trittbrett gestoßen, hinein in eine surreale Realität. In der heutigen Kleinen Zeitung lese ich den maximal unbequemen Befund von Ex-General Günter Höfler, dass uns die Neutralität überhaupt nicht schützt. Es ist also die Zeit der neuen Ehrlichkeit angebrochen, aber wohin führt sie uns? In die Nato? Das klingt gefährlich, vor allem gefährlich logisch. Denn der fromme Glaube, dass es in einem großen Ost-West-Krieg unberührbare Inseln der Seligkeit geben werde, will sich nicht recht einstellen. Andererseits stemmt sich beim gelernten Zivildiener innerlich alles gegen den Wiedereintritt der militärischen Gewaltlogik in unseren wattierten Alltag. Mir reicht schon die abrupte Allgegenwart uniformierter Strategen, interaktiver Lagepläne und fataler Frontberichte. „Ist Krieg nicht von gestern?“, fragte gestern Nacht das große Kind Jan Böhmermann entgeistert in seiner Show „ZDF Magazin Royale“.

Widerstrebend dämmert die Erkenntnis, dass uns ein Offenbarungseid abverlangt wird. Was ist uns unsere „Wertegemeinschaft“ eigentlich wert? Dass man für unser schönes Leben notfalls auch entschlossen militärisch einstehen muss, bis hin zur Ermordung der Freiheitsfeinde, das kannte unsere Generation nur aus den Geschichtsbüchern. Nun wissen wir es auch aus der eigenen Zeitung: Die Menschheit scheint verurteilt zur ewigen Barbarei. Das macht aus diesem blutigen Krieg ein Schandmal unseres Daseins.

Was soll man da wünschen? Ablenkung und viel Sand um den Kopf!