Die Briten und ihr eigener Sinn für Humor. Brexit-Hardliner Boris Johnson nannte den Brexit-Vertrag gerade einen historischen Fehler, als ihm ausgerechnet die „Titanic“ in den Sinn kam: Es wäre jetzt, sagte er, an der Zeit, auf den Eisberg da vorne hinzuweisen.
Stimmt. Es ist der Eisberg, den Johnson, Farage und Co. selbst aus dem Europa-Gletscher herausgesprengt haben.
Auch wenn sich Theresa May noch so sehr bemüht, den nun vom Europäischen Rat verabschiedeten Vertrag und die Zukunftsdeklaration schönzureden – es ist nichts, worauf sich Großbritannien freuen könnte. Das Land ist zerrissen, es verliert alle Vorteile aus der Zugehörigkeit zur EU, darf in der Übergangszeit dennoch mindestens 45 Milliarden Euro nach Brüssel überweisen und hat gleichzeitig kein Mitspracherecht mehr. Sollte die Frist auch noch verlängert werden, wird es noch teurer und damit für die Briten noch unangenehmer.
May, der man in den letzten Tagen – auch nach dem gescheiterten Misstrauensantrag – durchaus attestiert, wieder an Statur zu gewinnen, hat keine Alternativen zu bieten. Entweder ein schlechter Brexit-Deal oder eben gar keiner, was noch schlechter wäre. Das ist das Ergebnis, mit dem sie nach London zurückkehrt und das sie nun ihren Landsleuten in blumigen Vergleichen als Erfolgsstory verkaufen muss. Die Europäische Union hat damit das Kunststück geschafft, die letzte Entscheidung über den Austritt genau dorthin zu manövrieren, wo das Schlamassel seinen Ausgang genommen hat.
Die Premierministerin hat inzwischen an ihrer Strategie gedreht. In der Nacht vor dem Sondergipfel wandte sie sich in einem „Brief an die Nation“ direkt an die Bevölkerung. Als vor zwei Wochen die Veröffentlichung des Vertrages kurz bevorstand, schickte die Kommission gezielt ein Maßnahmenpaket aus, was im Falle eines „harten Brexit“ ohne Deal zu erwarten sei. Inzwischen gibt es auch Statements von großen europäischen Wirtschaftsgruppen, die Warnungen vor einem vertragslosen Zustand aussprechen und zur Zustimmung raten. Die Botschaft aller dieser Wortmeldungen ist klar: In letzter Sekunde läuft der Versuch, die öffentliche Meinung in die „richtige“ Richtung zu drehen und damit indirekt Druck auf die Abgeordneten auszuüben.
Dass das gelingt, ist möglich, aber höchst unwahrscheinlich. Und so klingt es jetzt schon wie ein überaus schmerzhafter Abschied, wenn Ratspräsident Donald Tusk Analogien aus einem Queen-Song bemüht und salbungsvoll sagt: „Wir werden Freunde bleiben bis zum Ende aller Tage – und noch einen Tag länger.“
Etwas drastischer formulierte es Sebastian Kurz: „Take it or leave it“ – überspitzt übersetzt: „Friss oder stirb.“
Niemand traut sich vorauszusagen, ob in letzter Sekunde ein Sturz Mays, ein zweites Referendum oder sonst ein Wunder den Karren wieder flott machen kann. Die Briten werden lange noch an diese Zeit erinnert werden. Bis zum Ende der Tage und einen Tag länger.