Der amerikanische Präsident Donald Trump hat es in der ihm eigenen Direktheit deutlich ausgesprochen: Der amerikanische Pastor Andrew Brunson wird in der Türkei als politische Geisel festgehalten. Staatschef Recep Tayyip Erdogan will mit dem Faustpfand Brunson die Auslieferung seines Erzfeindes Fethullah Gülen aus den USA erpressen – so die Lesart in Washington. Das erklärt, warum das amerikanische Finanzministerium jetzt Sanktionen gegen den Nato-Partner Türkei verhängte – ein höchst ungewöhnlicher Schritt gegenüber einem Verbündeten. Und die Maßnahmen gegen zwei türkische Minister sind möglicherweise erst der Anfang. Wenn Ankara jetzt, wie bereits angekündigt, Vergeltung übt, könnte eine Eskalation in Gang gesetzt werden.
Der Konflikt kommt nicht aus heiterem Himmel. Es kriselt seit langem in den türkisch-amerikanischen Beziehungen. Im Syrienkonflikt verfolgen beide Länder diametral unterschiedliche Interessen. Washington verdächtigt türkische Banker und Regierungspolitiker, systematisch die Iran-Sanktionen unterlaufen zu haben. Mit der Bestellung russischer Luftabwehrraketen brachte Erdogan nicht nur die USA gegen sich auf, er isoliert sein Land auch in der Nato.

Nach seiner Wiederwahl zum Staatschef, als der er nun dank der neuen Präsidialverfassung eine beispiellose Machtfülle genießt und das Land praktisch im Alleingang regiert, sitzt Erdogan fester denn je im Sattel.

Das zeigen auch die Reaktionen der Oppositionsparteien, die sich am Donnerstag angesichts der amerikanischen Sanktionen solidarisch hinter die Regierung stellten. Doch trotz seiner Allmacht scheint Erdogan weiterhin wie besessen von der Jagd auf vermeintliche Feinde.

Zwei Jahre nach dem Putschversuch gehen die „Säuberungen“ unvermindert weiter. Das zeigen auch die am Donnerstag ausgestellten Haftbefehle gegen 27 Marineoffiziere.
Nun droht der türkische Justizminister sogar damit, man werde sich den Erdogan-Widersacher Gülen aus den USA „holen“ – offenbar eine Anspielung auf die Kommandoaktionen, mit denen der türkische Geheimdienst bereits mehrere Gülen-Anhänger aus dem Ausland in die Türkei brachte. Seit langem kursieren Gerüchte, wonach türkische Dienste eine Entführung Gülens planen. Was das für die türkisch-amerikanischen Beziehungen bedeuten würde, mag man sich gar nicht ausmalen.

Der Verfolgung Gülens und seiner Anhänger ordnet der Staatschef offenbar alles andere unter – die Beziehungen zum Westen und zur Nato ebenso wie die wirtschaftliche Zukunft seines Landes. Die ersten Reaktionen an den Märkten sind alarmierend: Die Flucht aus der Lira beschleunigt sich, die Anleger werfen türkische Aktien und Schuldpapiere aus ihren Depots. Verschärft Erdogan jetzt den Streit mit den USA, könnte der Türkei in kürzester Zeit eine handfeste Finanzkrise drohen.