Zum zweiten Mal binnen zwei Wochen sind die Briten Opfer eines scheusslichen Terror-Anschlags geworden. Nach der Konzerthalle in Manchester war diesmal ein Bar- und Nachtclub-Viertel in London, nahe London Bridge, das Ziel. Vier Tage vor ihren Unterhauswahlen stehen die Bewohner der Themse-Stadt und der ganzen Nation betroffen vor einer bitteren Erkenntnis: Jihadisten, die keinerlei Skrupel kennen, verbreiten nun auch im Vereinigten Königreich Angst und Schrecken und schlagen, wo immer sie wollen, ungehindert zu.
Schon im März hatte ja eine erste Solo-Attacke Westminster erschüttert. Autos, Messer und selbstgebastelte Bomben sind die Waffen, die seit damals zum Einsatz gekommen sind. Vor jenem Westminster-Anschlag hatte man noch nervös zum Kontinent hinüber geschaut und gehofft, dank guter Geheimdienstarbeit von dieser Terrorwelle verschont zu bleiben. Nun mehren sich in kurzer Folge auch hier die Angriffe - kaltblütige Aktionen gegen leicht zu treffende Ziele, gegen Nachtbummler an einem lauen Samstagabend in diesem Fall.
Relativ gut vorbereitet auf einen Angriff dieser Art war offensichtlich die Polizei in der britischen Hauptstadt. Nicht mehr als acht Minuten dauerte es, laut Scotland Yard, bis die drei Täter "ausser Gefecht" gesetzt waren. Unbehagen herrschte allerdings am Sonntag, weil die Behörden erst vor wenigen Tagen die Terror-Alarmstufe von "kritisch" auf "ernst" herunter gesetzt hatten. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Manchester-Anschlag mag zwar nicht bestehen. Aber die auf ihren Erfolg der letzten Jahre stolzen Geheimdienste werden dafür kritisiert, dass es ihnen nicht gelungen ist, die jeweiligen Mörder und ihre Komplotte rechtzeitig zu identifizieren. Dazu wird in Kürze noch einiges zu hören sein.
Ein Zufall war es gewiss nicht, dass Salman Abedi in Manchester und die noch ungenannten Täter von London Bridge diesen speziellen Zeitpunkt für ihre Bluttaten wählten. Zwei Anschläge dieser Art mitten in einer Wahlkampagne verstärkten Resonanz und Nervosität im Land. Zum zweiten Mal ist es den Terroristen nun gelungen, eine Aussetzung des Wahlkampfs zu erwirken. Am Wahltermin selbst wollen die Politiker aller Parteien aber, schon um sich uneingeschüchtert zu zeigen, festhalten - ganz abgesehen davon, ob eine Verschiebung der Wahlen überhaupt möglich und machbar wäre.
Was bedeutet die Amokfahrt und die Schlächterei dieses Wochenendes für den Ausgang der britischen Wahlen, so kurz vorm Wahltag? Tory-Regierungschefin Theresa May, die im Wahlkampf zuletzt schwer ins Trudeln gekommen war, tritt nun erneut als Befehlshaberin im Kampf gegen Terror statt als Verteidigerin eines heftig umstrinnen Wahlprogramms auf. Labour-Chef Jeremy Corbyn, der sich immer gegen eine polizeiliche Politik des Todesschusses ("shoot-to-kill") ausgesprochen hatte, findet sich wieder in der Defensive. Nach Kräften sucht sich unterdessen Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan in den Kommandozentralen einzuschalten - nicht nur, damit Labour in den Top-Gremien mit vertreten ist bei der Planung neuer Abwehr-Massnahmen, sondern auch, um Rückschläge gegen Moslems im Lande nach Kräften zu bremsen. Khan, selbst Moslem, ist eine wichtige Symbolfigur in der Stadt.
Für die meisten Briten aber geht es jetzt wohl weniger um parteipolitische Fragen als um die Frage, wie nach diesen Anschlägen die eigene Zukunft aussehen, wie das tägliche Leben weiter gehen soll. Fürs erste herrscht Ratlosigkeit, und auch einige Resignation. Vor allem in London weiss man, dass nun bald überall mehr Barrieren gebaut, mehr Kontrollen eingeführt, mehr Polizisten und Soldaten aufgeboten werden - egal wer die Wahlen gewinnt. Auch mehr "stille" Überwachung steht zu erwarten. Dieser Entwicklung wird auch Grossbritannien nicht entkommen: Bei allen Beteuerungen Londons, dem Terror mit typisch britischem Gleichmut die Stirn bieten wollen.