Zu erleben sind die Endmoränen der Großen Koalition. Sie war groß im Guten und groß im Schlechten. Was tritt an ihre Stelle? Demokratiebelebend wäre ein Übergang von der Wiederkehr des ewig Gleichen und der Nicht-Abwählbarkeit von Verhältnissen hin zu einem Pendelschlag zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts. Rhythmik und Metrik würden endlich vom Wähler bestimmt. Da der Sommer kein neues Wahlrecht herbeizaubern wird, bleibt als rechnerische Voraussetzung für eine solche Pendeldemokratie ein solides Eigengewicht konsolidierter Parteien an den Flanken.
Durch die Nominierung von Ulrike Lunacek als grüne Spitzenkandidatin wird sich diese Bedingung leider nicht erfüllen. Sie ist eine kluge, geachtete Politikerin, aber mit ihr und ihrem Weltbild verengt sich die Partei unter die Zweistelligkeit. Sie hat zu ihrem Einstand drei Pflöcke eingeschlagen: Die Vereinigten Staaten von Europa als wirklichkeitsferne Utopie, das Festhalten an der Willkommensethik, als wäre nichts geschehen, und die Verhinderung einer blauen Regierungsbeteiligung. Das Paradoxe daran: Die illusionären Positionen eins und zwei sorgen dafür, dass Position drei nie Wirklichkeit wird. Das ist die Tragik moralischer Erhabenheit. Die Neos werden von Sebastian Kurz in die ÖVP zurück inhaliert, damit bleibt ein Mitte-Rechts-Bündnis die einzige Realo-Option.
Wie strategisch durchdacht sind da die deutschen Grünen! Die wissen, dass sie in liberale bürgerliche Milieus strahlen müssen, wollen sie machtarithmetisch relevant sein. Dort warnt der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Seinen vor jenem „gesinnungsethischen Überschuss“, dem die Geschwister in Österreich triebhaft erliegen. In der Frage der Zuwanderung und Integration argumentieren die deutschen Grünen erfrischend abwägend. So sei es töricht von den Rechten, Menschen, die da sind, keine Zugänge in der Gesellschaft zu eröffnen. Genauso sei es aber ein „Fehler der Linken“, Verhaltensweisen gegenüber, die mit den Werten der Verfassung unvereinbar sind, eine „falsche Toleranz“ zu üben. Kretschmann sagt Sätze wie: „Wer zu uns kommt, den muss man nicht nur fördern, sondern auch fordern“. So etwas gilt unter heimischen Grünen als unkorrekt. Das trifft auch auf das zu, was der deutsche Grünen-Chef Cem Özdemir über die Zugezogenen sagt: „Zu unserer Heimat gehört, wer anpackt“.
Weil die hiesigen Grünen zu so einem pragmatischen Humanismus keinen Zugang finden, wird ihnen auch der Zugang zur Regierungsbeteiligung verwehrt bleiben. Vom Hochsitz kultureller Abgehobenheit können sie zuschauen, wie sie die, die sie verhindern wollten, zu alleinigen Anwärtern aufs Mitregieren machen. Nicht nur das: Die FPÖ darf sich, wenn sie Zweiter wird, auch aussuchen, wer sie zum Traualtar führt: Rot oder Schwarz. So kann es einem also gehen, der seinen idealistischen Überschuss nicht in den Griff kriegt und vor lauter Alleinstellung allein zurückbleibt.