Mitte Dezember hat sich SPD-Chef Sigmar Gabriel den Magen verkleinern lassen, um seinen Diabetes in den Griff zu bekommen. Außer für den Boulevard war die Meldung über die Gesundheit des gewichtigen Vizekanzlers nur Nebengeräusch in der nachrichtenarmen Vorweihnachtszeit. Die Spekulation um seinen Zustand hat in den Kreisen der Sozialdemokraten nur deshalb Gewicht bekommen, weil sie unmittelbar in den Aufgalopp einer wegweisenden Entscheidung fiel. Kann man vielleicht herauslesen, ob Gabriel bei der Bundestagswahl im September gegen CDU-Chefin Angela Merkel als Kanzlerkandidat ins Rennen geht?
In der SPD bekommt man bei dieser Frage – wie bei vielen zu Gabriel – ein klares Jein. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat schon vor Wochen gesagt, sie wisse, wer Spitzenkandidat werde, ohne zu sagen, wer das ist. Damals hatte gerade EU-Parlamentspräsident Martin Schulz seinen Wechsel von Brüssel nach Berlin bekannt gegeben. Er gilt im Gegensatz zu Gabriel als einzige chancenreiche Alternative im Kampf gegen Merkel. Doch Schulz selbst sagt mittlerweile, er sehe seine Chance nur noch minimal.
Nun ja. Das ist nur die halbe Wahrheit. Natürlich hat der SPD-Vorsitzende das Recht des ersten Zugriffs. Immerhin hatte nur Willy Brandt jenes Amt länger inne, von dem Gabriel-Vorgänger Franz Müntefering sagte, es sei „das schönste neben dem Papst“. Dabei zweifelt im Grunde keiner daran, dass Gabriel Ambitionen hat, als Kanzler in die Fußstapfen von Brandt, Helmut Schmidt und seinem politischen Ziehvater Gerhard Schröder zu treten. Er weiß aber auch um seine Stellung in Volk und Partei. Dem ARD-Talker Reinhold Beckmann sagte er im November: „Wenn man zehn Leute fragt, sagen fünf Leute: super Typ. Und fünf Leute sagen: ein Riesenarschloch. Ich scheine zu polarisieren.“ Es lässt sich in der K-Frage in jede Richtung interpretieren. Typisch Gabriel. Wechselhaft in den Aussagen, aber doch mit untrüglichem Instinkt für Themen, die den Leuten auf der Seele brennen.
Und dann ist da noch die Ankündigung, dass er und seine Frau Anke im März eine zweite Tochter erwarten. Nach der Geburt des ersten Kindes vor vier Jahren hat der Wirtschaftsminister für sich Teilzeit reklamiert. Ihm sei die Familie noch wichtiger als die SPD, heißt es regelmäßig. Wieder klangen jene, die die Ankündigung als Signal gegen eine Kandidatur sahen, ebenso glaubwürdig wie jene, die das Gegenteil sagten.
Heute trifft sich in Düsseldorf die SPD-Führung, um die K-Frage zu beantworten. Es wird nur auf Gabriel ankommen. Lässt er wie 2013 mit Peer Steinbrück nun Schulz den Vortritt, wird ihm das als Feigheit ausgelegt. Nimmt er die Rolle an, muss er für die sich abzeichnende historische Niederlage die Verantwortung allein übernehmen. Beides wird sein Aus bedeuten. Schröder hat ihm klar gesagt: „Du musst es wollen.“ Genau an diesem Punkt hat er zu lange gezaudert.
Ingo Hasewend