Sollen wir 41 oder doch nur 32 Wochenstunden arbeiten? Gewerkschaft, Industrie und Parteien haben sich vor dem 1. Mai mit ideologisch-isometrischen Übungen schon einmal warmgeturnt. Verrenkungen und ein paar blauen Flecken blieben nicht aus.

Doch die Zahl der Arbeitsstunden ist erst in zweiter Linie bedeutsam, wenn es um unsere wirtschaftliche (und damit sozialstaatliche) Zukunft geht. Wichtiger ist, wie wir uns als Gesellschaft kulturell zur Erwerbsarbeit stellen. Ob sie nur mehr die lästige Pflicht von ein paar Dummen ist, während ein wachsender Teil der Bevölkerung arbeitslose (Teil-)Einkommen überwiesen bekommt.

Oder ob wir jenes Modell restaurieren, aus dem alle 1.-Mai-Romantik stammt: dass, von wenigen Sonderfällen abgesehen, grundsätzlich alle im arbeitsfähigen Alter zum gemeinsamen Wohl arbeitend beitragen. Und daraus Stolz, Selbstvergewisserung, Lebenssinn, Zufriedenheit gewinnen.

Das ist eine sehr unmodern gewordene Vorstellung. Aber wir sollten sie nicht leichtfertig über Bord werfen. Denn die Utopie einer Freizeitgesellschaft, in der uns Roboter und Künstliche Intelligenz die fürs Wohlleben nötige Produktivität quasi an den Liegestuhl servieren, ist gefährlich.

Die Gesellschaft ist ein Energiesystem: Alle ziehen Energie heraus. Das funktioniert nur, solange jeder bereit ist, nach seinen Kräften auch Energie hineinzustecken. Der Zusammenhalt droht zu brechen, wenn sich zu viele mit Teilzeit, Auszeit, Frühpension aus dem Erwerbsleben ziehen. Und wenn wir Asylwerber nicht voll in den Erwerbsprozess integrieren.

Deshalb brauchen wir einen Grundkonsens.: Arbeit ist keine Zumutung, sondern die gelebte Solidarität des Für-einander-da-Seins. Alle Parteien (und speziell Arbeiterparteien) sollten dafür eintreten, dass Leistung wieder zu einer schicken Modeerscheinung wird. Die man zum Wohl des Ganzen und seiner selbst verrichtet. Die man außerdem schuldet, wenn man in so einem schönen und funktionierenden Sozialstaat leben will. Das ist eine Kulturfrage, weil sonst immer mehr Arbeiten einfach liegenbleiben, siehe zugesperrte Gasthäuser, eingeschränkte Öffnungszeiten in Freizeitbetrieben, nicht zugestellte Zeitungen und so weiter.

Selbstverständlich gehören dazu verbesserte Arbeitsbedingungen und auch ein sich lohnender Lohn. Also Entgelt, das dem Arbeitenden netto in der Tasche bleibt, damit man sich mit eigener Arbeit etwas aufbauen kann, was immer mehr Junge bereits (zu Recht) bezweifeln. Weil die Arbeitslöhne der Mittelschicht aberwitzig hoch weggesteuert werden, während der Staat immer mehr verfettet und seine viel zu großen Fördergießkannen füllt.

Die sich verfestigende Kluft zwischen Zahlern und Nehmern in unserem hypertrophen Umverteilungssystem ist ein schleichendes Gift, das die Flucht aus der Solidargemeinschaft antreibt. Es muss entschärft werden. Erst dann wird sich „Leistung wieder lohnen“ - ideell und finanziell.