Gehe es nach seinen Emotionen, dann müsste er die Koalition beenden, weil es nach dem schweren Vertrauensbruch durch die Umweltministerin keinen Sinn mache, mit den Grünen weiterzuarbeiten. Der Bundeskanzler schluckte seinen Ärger hinunter und warf sich in die Pose des Staatsmannes: Um ein Chaos zu vermeiden, wolle er die drei Monate bis zum Wahltag durchhalten.

Damit manövrierte sich Karl Nehammer in die Defensive. Die Disziplinierungsmaßnahmen gegen Leonore Gewessler sind stumpfe Waffen. Bis über die Nichtigkeitsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof und über die Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch von der hiesigen Justiz entschieden wird (falls überhaupt), ist die türkis-grüne Koalition Geschichte.

Gewessler kann sich nicht nur von ihrer grünen Basis als Retterin der Natur feiern lassen. Wenn man damit rechnen muss, dass es zu keiner Neuauflage der Koalition kommen wird, fühlt man sich frei. Die Ministerin versorgte noch schnell eine Freundin mit einem Spitzenjob und schiebt alle Schuld, warum Energie- und Klimagesetze nicht beschlossen wurden, auf die Verzögerungstaktik der ÖVP.

Listiger geht es Werner Kogler an. Der Parteichef der Grünen hat zwar beim Abschluss des Koalitionsvertrages mit Sebastian Kurz einen Sideletter über die Postenvergabe unterschrieben. Gemäß dem Stärkeverhältnis von fast 3:1 sollte die ÖVP den nächsten EU-Kommissar nominieren. Inzwischen fühlt sich der Vizekanzler nicht mehr an die Vereinbarung gebunden. Warum, sagt er nicht. Nachdem die Neos Othmar Karas ins Spiel gebracht haben, zogen die Grünen nach. Kogler nannte den Namen des in der ÖVP in Ungnade gefallen EU-Veteranen zwar nicht, dementierte aber auch nicht. Was soll Nehammer tun, sollten die Minister Magnus Brunner oder Karoline Edtstadler von Kogler abgelehnt werden? Muss er zähneknirschend Karas akzeptieren?

Im Endspiel der untergehenden Koalition, braucht der Kleinere keine Rücksicht mehr zu nehmen und kann den Größeren vorführen.

Erwin Zankel war Chefredakteur der Kleinen Zeitung.