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Selten haben Meinungsforscher ein Wahlergebnis so präzise vorausgesagt, wie jenes der Landtagswahl in Niederösterreich. Der Wandertag vieler Wählerinnen und Wähler von der ÖVP zur FPÖ und der Verlust der absoluten Mehrheit für Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hatten sich abgezeichnet. So schlecht wie diesmal war die ÖVP in Niederösterreich noch nie. Fast ein Viertel der Stimmen für die FPÖ? Was politisch Interessierten in Kärnten nur ein müdes Lächeln kostet, wird anderswo als politisches Erdbeben tituliert und bringt das Land zum Hyperventilieren. Hierzulande, im südlichsten Bundesland Österreichs, war der Ergebnisbalken bei der FPÖ bereits bei der Landtagswahl 1989 auf 29 Prozent hochgeschnellt. Es war das Ende eines Vierteljahrhunderts mit absoluten SPÖ-Mehrheiten. Der erstmals als Spitzenkandidat ins Rennen gegangene Jörg Haider wurde dann mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP sogar zum Landeshauptmann gewählt. Auf bis zu 44 Prozent Zustimmung brachten es die Freiheitlichen in Kärnten in den Jahrzehnten danach, bis 2013 der brutale Absturz folgte. Hochmut war vor dem Fall gekommen.

Die Analysen zu starken Zugewinnen der FPÖ bei Wahlen ähneln sich seit Jahrzehnten. Diese hole die Proteststimmen unzufriedener Menschen ab, die anderen Parteien, sprich die Regierenden, müssten Antworten und Lösungen finden, wieder mehr zu den "einfachen Menschen" gehen und diese ernst nehmen etc. Das ist nur ein Teil der Wahrheit, damit negiert man, dass es in Österreich einfach eine stabile Basis für Politik rechts der Mitte gibt – 2017 bis 2019 schöpfte Sebastian Kurz ordentlich aus diesem Reservoir, jetzt ist wieder die FPÖ am Zug. Gemeinsam kommen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich fast auf zwei Drittel der Stimmen.

Älter als gestern haben die "Altparteien" ÖVP und SPÖ noch selten ausgeschaut. Wahlabende sind auch die Zeit der Altpolitikerinnen und Altpolitiker. Quer über die TV-Sender verteilt verbreiten sie ihre Einschätzungen. Mikl-Leitners Vorgänger Erwin Pröll (ÖVP) äußert sich auf Puls24 wenig schmeichelhaft über seine Nachfolgerin. "Wenn sie Johanna Mikl-Leitner mit mir vergleichen, dann ist das zwar nett – aber ein derartiger Vergleich hinkt natürlich. Nummer 1 zu sein und Führungsfigur sein zu müssen, ist natürlich eine neue Herausforderung", sagte Pröll. "Man muss in der Politik realistisch sein – es gibt nicht nur Höhepunkte, sondern auch entsprechende Defensivaufgaben zu erfüllen." Die Bundespartei sieht Pröll trotz allem auf Kurs.

Auf oe24 zieht Ex-FPÖ/BZÖ-Politiker Peter Westenthaler gegen die türkis/schwarz-grüne Bundesregierung vom Leder. "Dieses Ergebnis ist Klebstoff für diese unsägliche Koalition. Die werden weiter zusammenpicken und die Hilfeschreie der Menschen nicht hören", schimpft Westenthaler, der auch bei den kommenden Landtagswahlen in Salzburg und Kärnten mit einem "blauen Wunder" rechnet. "Ich glaube nicht, dass sich Kärnten freiheitliche Politik zurückwünscht", hält Ex-SPÖ-Politiker Josef Cap entgegen. Mit dem Abschneiden seiner Partei, die hinter die FPÖ zurückfiel, ist Cap auch nicht zufrieden. Spitzenkandidat Franz Schnabl habe einen schlechten Wahlkampf geführt. "Niemand hat ein Interesse, jetzt im Bund neu zu wählen", sagt Ex-ÖVP-Politikerin Maria Rauch-Kallat. Niederösterreich habe größere Bedeutung für die Bundespolitik als Salzburg und Kärnten, ist sie überzeugt – ebenso davon, dass die Bundesregierung bis 2024 halten werde.

Auch in der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" wird eifrig über das Wahlergebnis diskutiert. Und da ist es Ex-SPÖ-Innenminister Karl Schlögl, der vor allem über das historisch schwache Abschneiden seiner Partei reden muss. "Ein sehr schlechtes Ergebnis, ich bin sehr enttäuscht darüber", sagt Schlögl, der einst als "rechter Roter" bezeichnet wurde. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir verlieren." Von einem personellen "Schnellschuss" in der SPÖ hält Schlögl nichts, er sieht aber Diskussionsbedarf und richtet deutliche Worte an Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner & Co.: "Die SPÖ tritt in bestimmten politischen Fragen nicht geschlossen nach außen auf. Das Thema Asyl ist ein Beispiel dafür." Er halte es für einen Fehler, "dass die Freiheitliche Partei immer an den Rand gedrängt werde". Bleibt es auch in Zukunft beim Nein der SPÖ zu einer möglichen Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene? "Na schau‘ ma mal", sagt Schlögl.

Einen diskussionsfreudigen Wochenstart wünscht

Wolfgang Fercher
wolfgang.fercher@kleinezeitung.at