Vor 25 Jahren fand in Graz die Zweite Ökumenische Versammlung statt. Sie trug das Motto „Versöhnung“. Dieser Begriff sei heute aktueller als damals, schreibt unser verehrter Alt-Chefredakteur Kurt Wimmer im Samstagsessay. „Es ist verstörend, wie erbittert in unserer überreizten Gesellschaft Unversöhnlichkeit ausgetobt wird“, urteilt der unheimlich junge 90-Jährige mit ungetrübter Präzision über die Gegenwart.
Da ist was dran. Wir leben trotz der multiplen Krisen noch immer im historisch und geografisch einzigartigen, unwahrscheinlichen Paradies. Wir dürfen vom Zaubertrank der Freiheit zehren und uns eines Maßes an Sicherheit erfreuen, das nur eine gefestigte Zivilisation bieten kann. Man könnte glauben, es sei angemessen, wenn wir einander in diesem Umfeld mit Respekt und Wohlwollen begegnen. Und wenn wir unsere Interessens- und Meinungsunterschiede nicht mit Lagerbildung und Haudrauf-Reflexen austragen, sondern im Klima von Lernbereitschaft und Selbstreflexion.
Doch die Gnade des Selbstzweifels und die Neugier auf das Sperrige scheinen Mangelwaren zu sein. Liegt es an dieser komplexen, überbeschleunigten, nicht mehr erfassbaren Welt, dass wir Widerspruch so schwer ertragen? Um nicht das Wenige, dessen wir uns sicher wähnen, auch noch auf dem Prüfstand von Diskurs und Evidenz schmelzen zu sehen? Diese Fragen stehen im vom Schlachtenlärm der Internetforen erfüllten Raum. Weihnachten, dieses stillste aller Feste, könnte ein Anlass sein, an dem wir die Qualität unserer Zeitgenossenschaft neu vermessen. Erfüllte Begegnungen und Beziehungen, Zuneigung und Hinwendung bleiben die Angelpunkte unserer Existenz. Und wie es aussieht, werden wir das Aufeinander-Schauen und -Hören als Zukunftsressource brauchen.
Allmähliche Einkehr von Weihnachtsruhe wünscht