Nach einer kleinen, aber sehr feinen, abendlichen Geburtstagsfeier für meinen Chefredakteur bei einem Italiener in Ostgraz bin ich in den Nachtstunden nach Wien zurückgekehrt. Mit dem Auto, denn sonst hätte ich mich nach den Nudeln bereits auf den Heimweg machen müssen – der letzte Zug verlässt um 21.26 Uhr die Mur-Metropole. Beim FlixBus wäre sich noch die Hauptspeise ausgegangen, die Torte hätte ich bleiben lassen müssen. Kein Wunder, denke ich mir, dass angesichts des Angebots beim öffentlichen Verkehr erst 1,8 Prozent (!) der Österreicherinnen und Österreicher das vielfach beworbene Klimaticket gelöst haben.

In den stündlichen Nachrichten überwiegt die Sorge um drohende Lieferengpässe, sollte Putin auch in den nächsten Monaten am Gashahn drehen bzw. sich der Krieg noch zwei, drei Jahre hinziehen. Was gern übersehen wird: Selbst wenn die Waffen schweigen, kehrt noch lange nicht Friede in Europa ein. Naiv ist die Vorstellung, dass die Europäer in Moskau dann geschäftsmäßig wieder anknüpfen können, wo sie am Tag des Überfalls aufgehört haben – oder dass wir Österreicher nach einem kriegerischen Intermezzo den eingeschlagenen Weg zur Klimaneutralität ganz normal fortsetzen können. Die Beziehungen zwischen Putin und Europa bleiben nachhaltig zerrüttet. Wer traut Putin in Zukunft noch über den Weg?

Und wie ich mit dem Tempomat stressfrei nach Wien gleite, überkommt mich die Vorstellung, dass ich im Herbst auf Geheiß der Regierung den Tempomat auf 100 km/h zu drosseln habe. Nicht aus ideologischen Gründen oder weil ökologische Tugendwächter den Verzicht predigen, sondern im Interesse des großen Ganzen. Warum sind Einsparungen in Österreich kein Thema? Weil die Koalition nur auf Wohlfühlbotschaften getrimmt ist? Ich erinnere mich an meine Kindheit, wo die Regierung Energieferien eingeführt, einen autofreien Tag verordnet und der damalige Kanzler zur Nassrasur aufgefordert hat (Ich war damals noch ein Zwerg, einen Elektrorasierer habe ich immer noch nicht).

In Österreich hat der seltsame Spin um sich gegriffen, sollte es knapp werden, werde die Industrie, die, so der unterschwellige Tenor, Überflüssiges produziert, abgedreht, wolle man doch privaten Haushalten keine Einschränkungen zumuten. In Niederösterreich, aber nicht nur dort, hängen große Teile der Lebensmittelindustrie am Gas. Wird dieses abgedreht, kommt die Arbeit in Molkereien und Schlachthöfen zum Erliegen. Auf Fleisch kann man verzichten, aber wenn keine pasteurisierte Milch mehr in Regalen vorzufinden ist? Abgesehen davon, dass in nicht wenigen Industrieregionen die Abwärme der großen Fabriken für das Heizen von Wohnungen und Häusern verwendet wird. Soviel zur Dichotomie Industrie vs. private Haushalte. 

Noch vor wenigen Wochen brüsteten sich Kanzler und Umweltministerin im Zusammenhang mit der Debatte über ein mögliches Gas, Öl- und Kohlembargo, dass Österreich von der Diskussion über einen Ausstieg aus Kohle gar nicht betroffen sei, weil Österreich anders als Deutschland keine Kohle mehr verfeuere. Bei der Atomkraft zähle Österreich ohnehin zu den Trendsettern.

Nichts dergleichen: Nun musste die Regierung bei der Kohle den Rückwärtsgang einlegen. Mit der Umrüstung von Mellach auf Kohle fiel ein erstes Dogma – eine schmerzhafte Erkenntnis für die Umweltministerin, die sich der politischen Maxime, was nicht sein darf, kann nicht sein, verschrieben hat. Im Frühjahr musste Gewessler bereits den Canossagang nach Katar antreten. Nicht auszuschließen, dass die Ministerin bald bei anderen Diktatoren um fossile Energie betteln muss.

Dass das AKW Zwentendorf wieder angeworfen wird, ist auszuschließen. Die wenigen Brennstäbe, die Österreich – auf Basis eines parteiübergreifenden Parlamentsbeschlusses – bei der Atommacht USA eingekauft hat, dienen dem Betrieb eines Forschungsreaktors im Prater in Wien. Beim Atomstrom macht es die Regierung ohnehin eleganter: Sie betont, Österreich sei frei von Kernenergie, unterschlägt aber, dass wir Atomstrom aus den Nachbarländern in unsere Netze einspeisen.

Noch andere Tabus wackeln: In politischen Zirkeln hat die Debatte begonnen, ob man nicht im Weinviertel Schiefergas fördern soll. Das sei immer noch umweltschonender als der Import von amerikanischem LNG-Gas, heißt es, habe doch die Montanistik in Leoben ein "grünes Fracking-Verfahren", das ohne Chemie auskommt, entwickelt. Dem wird entgegengehalten, dass die Exploration Jahre dauere. Nicht vom Tisch ist der Bau weiterer Wasserkraftwerke, nicht gerade in Hainburg, aber an anderen Stellen. Bei Wind- und Solarparks hat Österreich ohnehin großen Nachholbedarf.

Einen nachdenklichen Dienstag

wünscht