Meine jüngste Tochter hat ein großes Herz für Tiere, vor allem für die, denen es nicht so gut geht. Deshalb kommt ihr Hund nicht von einem Züchter, sondern aus dem Tierheim. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ein entzückender kleiner Mischling, den sie fortan Luis rief und von dem niemand sagen konnte, wie groß er einmal werden würde. Inzwischen sind einige Monate vergangen, und Luis ist immer noch entzückend, aber riesig. Und er wächst, glaube ich, immer noch.
Nun mag ich auch Hunde, allerdings nur bis zu einer gewissen Größe. Vor den richtig großen habe ich Angst. Das hängt damit zusammen, dass ich seinerzeit auf meinem Schulweg an einem schmiedeeisernen Tor vorbeigehen musste, hinter dem eine Dogge stand. Sie war schwarz-weiß gefleckt und groß wie ein Kalb. Sie bellte nicht, sprang nicht an den Gitterstäben hoch. Sie schien auf mich zu warten, regungslos, und beobachtete aus schläfrigen Augen, wie ich näher kam. Auch wenn ich wusste, dass sie mir nichts tun konnte, war ich immer froh, wenn ich die Stelle passiert hatte.
Einmal, ich mochte elf Jahre alt gewesen sein, las ich in der Zeitung, dass ein kleiner Bub auf seinem Schulweg von zwei Doggen angefallen und regelrecht zerfleischt worden war. Von nun an wurde alles noch schlimmer. Bis einmal das Entsetzliche eintrat. Plötzlich stand sie nicht hinter, sondern vor dem hohen Tor. Ich sah sie schon von Weitem. Sie kam nicht auf mich zu, sie schien keine Eile zu haben, sondern wartete wie immer. „Jetzt ist alles aus“, dachte ich. Weglaufen, das wusste ich, hätte den Jagdinstinkt des Hundes nur angestachelt. Stehen bleiben möglicherweise seine Neugier geweckt. Also ging ich in winzig-kleinen Schritten weiter. Es waren die längsten Meter meines Lebens. Da geschah das für mich Unerwartete: Die Dogge trottete, wie von Geisterhand geführt, durch das offene Tor zurück in den Garten.
Auch wenn dieses Erlebnis mehr als 60 Jahre zurückliegt und ich niemals ernsthaft von irgendwelchen Vierbeinern gebissen worden bin, so ist doch eines geblieben: die Angst vor großen Hunden.
Gottfried Hofmann-Wellenhof