Zu den schönen Seiten des Ruhestandes zählt, dass ich nicht mehr um 5.45 aufstehen muss. Ich kann, muss aber nicht. Als unsere Kinder noch zur Schule gingen, oblag mir die heikle Aufgabe, sie zu wecken. Obwohl der Wecker bereits schrillste Alarmtöne eines Polizei-Folgetonhorns von sich gab, schlummerten unsere Söhne weiterhin friedlich.

Der erste Versuch, sie aus ihrem Tiefschlaf zu holen, scheiterte daran, dass ich, von Rührung übermannt, von meiner Stimme viel zu sanft Gebrauch machte: „Aufstehen, liebe Kinder!“ Auch der zweite Versuch, akustisch Druck zu machen, zeigte oft keinerlei Wirkung. Erst wenn ich ihnen ihre Bettdecken wegzerrte und sie in eine einigermaßen vertikale Lage hochzog, begannen sie langsam zu begreifen, worum es geht.
Sie taumelten über die Stiegen hinauf, wobei sie stets ein friedlich herunterbaumelndes tibetanisches Glockenspiel rammten und in eine kakofone Klangwolke verwandelten. Hatten sie solcherart das Obergeschoss gewonnen, war das noch lange nicht gleichbedeutend mit dem Erreichen des Frühstückstisches. Meist klebten sie nämlich, riesigen Fledermäusen gleich, für einige Minuten regungslos an den Heizkörpern im Badezimmer. Sehr beliebt als Zwischenstation war auch eine kleine Wiege, die eigentlich als Bettstatt für meine damals 20 Monate alte Tochter vorgesehen war.

Irgendwann gelangten unsere Buben dann doch in die Küche, wo sie mir missmutig mitteilten, sie hätten unmöglich Zeit zu frühstücken. In panischer Hast stürzten sie oft aus dem Haus und vergaßen dabei auf ihre Jause oder den Turnbeutel, den ich durchs Fenster nachwarf. Der Schnellste hatte die Aufgabe, im Sprint das Trittbrett der Bim zu erreichen und zu blockieren, bis die Geschwister aufschlossen.
Eines Morgens läutete es heftig an unserer Haustür. Ich öffnete, und vor mir stand ein Mann mit furchteinflößendem Blick. Mit rauer Stimme brüllte er: „I bin da Stroßnbahnfoahrer. Wenn ihnere Kinder des nächste Mol wieda so long brauch´n, foahr i durch.“ Das ist lange her – und jener Straßenbahnfahrer wohl auch im verdienten Ruhestand.