Mein alter Freund Egon lässt kein gutes Haar an Jugendlichen: Sie seien unhöflich, egoistisch, verwöhnt. „Die Straßenbahn ist voll von Schülern, ein alter Mann mit Krücken sucht einen Sitzplatz. Glaubst du, dass einer der 13-, 14-Jährigen Platz gemacht hat? Nein, eine betagte Dame, vielleicht an die 70, ist aufgestanden. Und was mich schon lange stört: Dass oft die Erwachsenen die Jungen zuerst grüßen, die Lehrerin ihre Schüler zum Beispiel. Das hätte es früher nicht gegeben.“
Wenn Egon in Fahrt ist, ist er kaum zu bremsen. „Jugendliche sind egoistisch. Schon von klein auf bekommen sie alles, was der Markt bietet: das teuerste Handy, das leichteste Mountainbike, die neuesten Marken-Jeans. Und verwöhnt sind sie auch. Von Hausarbeit wollen sie nichts wissen, dafür ist schließlich der Dienstleistungsbetrieb Elternhaus zuständig. Früher einmal zogen sie nach der Matura aus, weil sie endlich frei sein wollten. Heute genießen sie die Vorteile, die das Hotel ‘Mama’ bietet.“ Wer von Geburt an immer der Mittelpunkt der Welt war, kann später nicht verstehen, warum er es plötzlich nicht mehr ist. Wer keine Wünsche hat oder nur noch maßlose, ist im Grunde bedauernswert. Wohlstandsverwöhnung kann genauso gefährlich sein wie Wohlstandsverwahrlosung.
Erziehung heißt Liebe und Geduld und wieder Liebe und Geduld. Aber es heißt auch, dem Kind klar zu sagen, was es tun darf und was nicht. Das bedeutet, dass wir Erwachsenen uns so verhalten müssen, dass ein Kind sich an uns orientieren kann. Das Zauberwort in der Erziehung heißt Konsequenz. Wer ein Fernsehverbot ausspricht, um es wenig später wieder aufzuheben, verliert das Vertrauen seines Kindes. Wer zu oft Nein sagt, ohne das Verbot wirklich durchzusetzen, wird bald nicht mehr ernst genommen.
Wer in der gleichen Situation heute so und morgen anders entscheidet, nimmt seinen Kindern jegliche Möglichkeit verlässlicher Orientierung. Aber gerade die tut not – heute mehr denn je. Kinder brauchen Grenzen. Ein Kalenderspruch besagt: „Wer nicht Einhalt gebieten kann, kann auch keinen Halt bieten.“
Gottfried Hofmann-Wellenhof