Die USA sortieren ihre geopolitischen Interessen neu – und das trifft nicht nur Afghanistan, sondern auch den Nahen Osten. Präsident Biden will sich auf die Innenpolitik und den Machtkampf mit China konzentrieren und hat für die Region zwischen östlichem Mittelmeer und Persischem Golf weniger Zeit und Geld übrig als seine Vorgänger seit 1945.
Biden wird zwar nicht alle Truppen aus der Region zurückziehen. US-Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe und Tausende Soldaten werden bis auf Weiteres am Golf stationiert bleiben. Doch das US-Engagement wird heruntergefahren. In Syrien haben die USA Russland das Feld überlassen. In Libyen hält sich Washington zurück. Im Irak endet der US-Einsatz. Der Nahe Osten wird künftig häufiger ohne den Weltpolizisten auskommen müssen.
Der neue Großkonflikt im Nahen Osten – der Machtkampf zwischen dem Iran und seinen regionalen Gegnern – wird dadurch gefährlicher. Ein Krieg ist zwar nicht unausweichlich. Länder, die sich bisher auf die USA verlassen haben, suchen sich neue Bündnispartner – und wenn es alte Feinde sind. Israel baut Beziehungen mit arabischen Staaten aus, der ägyptische Staatschef al-Sisi besuchte als erster Präsident seit 30 Jahren den Irak, die Vereinigten Arabischen Emirate schickten erstmals seit Jahren einen hohen Regierungsvertreter in die Türkei. Doch, ob diese Allianzen halten, ist fraglich. Unterdessen sinkt die Hemmschwelle für militärische Erstschläge, weil die USA aus dem Spiel sind. Bidens Rückzug macht den Nahen Osten unberechenbarer.