Guten Morgen!
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Vielleicht war's die Urlaubsreife oder der lange Abend mit Dietrich Mateschitz, der übrigens in seinen Hotelrestaurants immer zuerst in die Küche geht (Geschichte kommt). Oder es war die Hitze. Die Menschen tun komische Dinge, wenn es zu heiß ist. Sie verursachen Verkehrsunfälle, Gewalttaten, Wutanfälle in Parlamenten oder laufen sonstwie heiß oder Amok. Was herauskommt, ist in den seltensten Fällen vernunftnah und erbaulich. Hitze ist was für die Chronikseiten, man braucht bei Hitzewellen immer mehr davon. Sie ist tendenziell geistfeindlich. Das war menschheitsgeschichtlich schon früh klar. Sub ulma waren die ersten Vokabeln im Lateinunterricht. Leider war gestern im schönen Ort Pürgg an der Pforte zum Ausseerland weit und breit keine Ulme, deren Schatten Zuflucht geboten hätte vor dem Ausbruch von Kopflosigkeit.

Das Auto stand in der Sonne. Es war heiß und das Dach des Autos viel zu flach. Der Morgenpostler hat es in einem Moment geistiger Sonnenfinsternis (total eclipse of the brain) als Ablage benutzt, um seine Tasche ins Innere des Autos zu befördern. Er war offenbar so froh darüber, dass er das bei 34 Grad motorisch unfallfrei hingekriegt hat, dass er auf den Gegenstand auf der Ablage vergaß und selbstvergessen einstieg. Die Brieftasche. Das schwarze Leder muss sich eine Weile tapfer gegen die Fliehkraft gewehrt haben, bis es in einer scharfen Linkskurve abgeworfen wurde. Das ergab die Rekonstruktion später. Später war so eine Stunde danach. Anruf des Büros auf der Fahrt zu einer ORF-Diskussion über Hitzeschäden beim freien Spiel im Parlament: Ein Herr Haar habe sich gemeldet. Er habe die Brieftasche. Er habe sie zuerst gar nicht gesehen. Ein loser Geldschein sei ihm auf der Fahrt entgegengeflogen. Das komme nicht alle Tage vor. Er habe das Auto zurückgeschoben und sei auf die Geldtasche gestoßen. Herr Haar hat den Hundert-Euro-Schein in die Brieftasche gesteckt, hat die demolierte E-Card mit den eingravierten Lkw-Spuren aufgehoben und ist dann mit dem Fund eine halbe Stunde in die Bezirksredaktion nach Liezen gefahren, um die Brieftasche abzugeben. Zuvor hat er den Inhalt einzeln fotografiert und fernmündlich gefragt, ob das wohl alles sei. Zwei Kreditkarten haben gefehlt. Daraufhin ist Herr Haar eine halbe Stunde auf der Ennstalstraße wieder zurück zur scharfen Linkskurve gefahren und hat nach der erfolglosen Suchaktion dem Büro in Graz mit Bedauern die Fehlanzeige gemeldet.

Der Morgenpostler war tief beschämt und ist es immer noch. Es gibt da draußen offenbar Menschen, denen die Hitze nichts anhaben kann, die behalten selbst bei 34 Grad alle menschlichen Tugenden und bringen sie mit stiller, unaufgeregter Grandezza zum Vorschein. Der Morgenpostler wird mit der ramponierten, sattelschleppererprobten E-Card zum nächsten Arzt fahren und fragen, ob grundsätzlich beim Versicherten alles in Ordnung ist. Wenn das der Fall sein sollte und dem Morgenpostler die Fähigkeit bescheinigt wird, ein Autodach von einer Ablage theoretisch und praktisch zu unterscheiden, würde er Herrn Haar, Ehrenabonnent auf Lebzeiten, mit dem Hunderter, der ihm auf der Fahrt als unbemanntes Flugobjekt entgegenwehte, gern zu einem gemeinsamen Dankesessen einladen, vielleicht im grandiosen Gasthaus der unvergessenen Barbara Krenn in Pürgg, am schönen Ort der Selbstvergessenheit.
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Hubert Patterer