Nach dem Screening erschienen nicht nur die Regisseurinnen Karen O'Connor und Maeve O'Boyle, auch Baez selbst zeigte sich vor dem glitzernden Vorhang des historischen Kinos International. Zum Ende einer Fragerunde verabschiedete sich Baez mit einer kurzen Gesangseinlage.
Für "Joan Baez I Am A Noise" haben die Macherinnen, zu denen auch noch Miri Navasky gehört, die Abschiedstour der Sängerin im Jahr 2018 als Rahmenhandlung gewählt. Der fast zweistündige Film geht aber deutlich über eine Konzert-Doku nach 60 Jahren auf der Bühne hinaus. In Interviews lassen vor allem Baez sowie ihre Schwestern Mimi und Pauline tief blicken in die oberflächlich glücklichen und doch sehr komplizierten Familienstrukturen.
Schonungslose Bilanz
Der Film wird so zu einer oft schonungslosen Bilanz von Karriere und Privatleben, Therapien und Drogen, ständigen Selbstzweifeln, einer gespaltenen Persönlichkeit, Depressionen. Auch die wichtigsten Beziehungen spielen eine Rolle. Etwa zum noch sehr jungen Bob Dylan, dem die frühe Popularität von Baez auch als Vehikel der eigenen Karriere diente. Sie tanzt barfuß durch Paris, marschiert mit Martin Luther King, singt hier, protestiert dort.
Das Altern machte Baez auf ihrem langen und erfolgreichen Weg mehr zu schaffen, als sie selbst dachte. "Ich habe die Stimme nicht mehr. Ich vermisse sie", sagt sie im Film. Sie klingt noch immer beeindruckend, nur die Klarheit und Höhen schaffen die Stimmmuskeln nicht mehr.
Grundlage für viele Geschichten und Erinnerungen war ein umfassendes Depot, in dem die Eltern Fotos, Zeichnungen, Videos, Tonaufnahmen der Familie aufbewahrt hatten. Baez kannte das Depot nach eigenen Angaben nicht, war dort bis zum Film nie gewesen: "Ich hatte keine Idee davon."
In Berlin überlegt sie kurz, was ohne Musik und ihre berühmte Stimme aus ihr geworden wäre. "Ich weiß nicht, wie sich mein Leben entwickelt hätte, wenn ich nicht so früh gesungen hätte", sagt sie. Und fügt an: "Ich bin zufrieden."