Paradox, wenn Stärke zugleich Schwäche bedeutet. Wenn sich Amerika als Hüter der Weltordnung zurückzieht, wird die Welt keine globale Führungspersönlichkeit mehr benötigen. Die neue Rolle der politischen Führer der Kontinente heißt "Gleiche unter Gleichen", wobei Vorherrschaftsstreben der Vergangenheit angehört. Doch ist es vorerst wohl noch wie beim Kartenspiel, jeder möchte gewinnen und keiner weiß, welcher Trumpf in welcher Hand steckt und als Nächstes gezogen wird.
In dieser Situation hat Europa – wie zu seinem Glück gezwungen – die außerordentlich große Chance für Erneuerungen. Erneuerungen von innen heraus, wie wir sie dringend brauchen. Die bisherige Orientierung an Amerika hat uns in Wirtschaft und Politik zu unsäglichen Spannungen zwischen Arm und Reich geführt.

Jetzt ist es an der Zeit, in allen Bereichen völlig frei, neue Strukturen aufzubauen. Ungerechtfertigte Boni-Zahlungen an Banker und andere Industriebosse gehören beispielsweise hoffentlich bald ebenso in den Mistkübel der Geschichte wie die Groschenklauberei um das Existenzminimum des Einzelnen. Europa hat die Chance, Würde zu zeigen und der Lehrlingsrolle zu entwachsen. Dringender denn je ist die Frage nach Europas gemeinsamen Interessen zu beantworten und das, was man besser auf regionaler Ebene belassen sollte. Europa darf zu neuen Formen des Miteinanders, zu neuen Wertigkeiten finden. Mit Abschotten und Polarisieren ist uns wenig geholfen. Auch der Terror hat bei mehr innerer Stärke nirgendwo in Europa Platz.

Herr Trump wird eines Tages darauf kommen, dass er nur ungern auf hochwertige geistige wie auch industrielle Produkte Europas verzichten möchte. Vielleicht ist er uns dann sogar dankbar, wenn er sie überhaupt bekommt, weil wir sie womöglich gar nicht mehr so gern hergeben wollen.

Dr. Bruno Reuer, Bodensdorf

Das andere Amerika

Der Tag nach Trumps Amtseinführung wurde ein überraschend positiver Tag. Die Frauenmärsche von Washington bis Seattle haben mir gezeigt, dass es das "andere", das demokratische Amerika noch gibt. CNN beispielsweise übertrug den ganzen Tag und zeigte auch die anderen weltweiten Anti-Trump-Demonstrationen, nicht nur die europäischen von London bis Rom (andere Sender waren da zurückhaltender und vorsichtiger – oder ratloser). Mit einfachen Worten: Das alles gab mir den Glauben an die Demokratie zurück! Schließlich waren es alles nur hauchdünne Wahlsiege, diese unsäglichen fast Fifty-fifty-Entscheidungen, die uns alle so besorgt machten, sowohl bei unserer Bundespräsidentenwahl wie beim Brexit und jetzt bei Trump.

Wenn man nicht resigniert, kann man sinnvoll weiterkämpfen. Diesmal waren es die Frauen, die den Auftakt machten, im Namen aller Betroffenen.

Horst Dieter Sihler, Klagenfurt