Ohne der Türkei nahe treten zu wollen, aber es wird immer deutlicher sichtbar, dass sich das Land unter Erdogan politisch, ökonomisch und gesellschaftlich ins Mittelalter zurückkatapultiert und den Weg einer modernen Türkei, wie ihn einst Staatsgründer Atatürk propagierte, sukzessive verlässt.

Das zarte Pflänzchen türkischer Demokratie manifestiert sich zunehmend zu einer Diktatur. Der immer autoritärer agierende Staatschef, der für sich ein Präsidialsystem mit weitreichenden Befugnissen einführen will, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe liebäugelt, die Meinungsfreiheit einschränkt, Oppositionelle sowie Minderheiten verfolgen und einsperren lässt und von einem "Osmanischen Großreich" träumt, darf in einer wertebasierenden Gemeinschaft namens EU keinen Platz finden. Da die Türkei weder die Kopenhagener Kriterien erfüllt und sich das Land fast zur Gänze auf dem asiatischen Kontinent befindet, sind weitere Gespräche über einen möglichen EU-Beitritt strikt abzulehnen. Da erwarte ich mir vonseiten der österreichischen Bundesregierung eine ebenso klare Haltung, wie sie Außenminister Kurz vertritt.

Ein Abbruch der Beitrittsgespräche heißt aber nicht, dass keine Gespräche mehr geführt werden sollten. Da die Türkei ein geopolitisch wichtiger Pufferstaat ist, sollte meiner Ansicht nach natürlich eine Gesprächsbasis aufrecht erhalten bleiben. Auch die Türkei kann nämlich in einer globalisierten Welt kein Interesse daran haben, sich völlig abzuschotten.

Ingo Fischer, Lavamünd

Wo beginnt die Türkei?

Es ist eigentlich jammerschade, dass einer der interessantesten Landstriche dieser Welt – der europäische Südosten von den Alpen bis in die anatolischen Berge - langsam zerschreddert und den Interessen kleingeistiger Potentaten geopfert wird. Zugegeben, das "Pulverfass Balkan" existiert als Begriff schon erdenklich lange, zumal dort ja seit Jahrhunderten Geschichte geschrieben wurde und wird. Hier trafen Orient und Okzident aufeinander, beide hinterließen weite Räume der Vermischung von Religionen, Kunst und Alltagskultur, dies alles auch im kriegerischen Wechselspiel (die Türken vor Wien u.v.a.m.). Erstaunlich, was die Osmanen im Laufe von Jahrhunderten etwa an Baukultur hinterlassen haben, an religiösen Wurzeln und kulturellen Bezügen bis in den Sprachschatz und das tägliche Essen und Trinken.

Für das alles greifen die bekannten "back to Asia"-Rufe wohl kaum, die heutige Türkei beginnt ja nicht erst in Üsküdar sondern im thrakischen Grenzgebiet. Und so gehören also nur die "Westbalkanländer" zu Europa (trotz tiefer türkischer "Fußabdrücke")? Und wo beginnt die Türkei überhaupt? Gerade die Österreicher hatten in diesem Umfeld genug zu tun.

Die "türkische Frage" wird also - weil auch viele durchaus europareife Türken - auf eine bessere Zukunft warten - noch viel Behutsamkeit benötigen!

Dr. Günther Antesberger, Klagenfurt