Leserbriefe zu den Leitartikeln „Der Ball liegt bei Babler“, 4. 10, „Die Türkisen im Hamsterrad“, 2. 10.

Es ist schon erstaunlich, wie die Wahlniederlagen kommentiert werden! Das Wort „Selbstkritik“ fehlt offenbar bei allen Wahlverlierern in ihrem so geschulten Vokabular; hier im Besonderen beim SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler, und das sage ich als Person, die sich als „ökonomisch, pragmatischer Sozialdemokrat“ bezeichnet. Bei seinen diversen Statements ist mir nur spontan das Wort „Realitätsverlust“ eingefallen. Die FPÖ hat nun einmal die Wahl gewonnen; natürlich wäre es ein gewisses Risiko mit einer von Kickl geführten Regierung, aber das muss unsere Demokratie aushalten, zumal ja noch ein Partner (ÖVP?) benötigt wird. Ich bin überzeugt, dass die FPÖ und ihre Protagonisten ganz schnell entzaubert werden; es ist halt doch ein großer Unterschied, ob man nur Kritik mit Brachialrhetorik übt oder selbst in der Verantwortung steht. Vielleicht erkennen dann auch die Leichtgläubigsten, dass es auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten gibt.

Eine Koalition ÖVP/SPÖ (NEOS/GRÜNE) wäre nur dann zu begrüßen, wenn die Partner es schaffen, ihre ideologischen Schranken zu überwinden und Politik für alle Österreicher zu machen und nicht nur für ihre Klientel. Sollte dies nicht gelingen und die jeweilige Koalition regiert wieder an den Wünschen und Anliegen der Menschen vorbei, dann steht der absolute Sieger der nächsten Wahlen bereits fest.
Alois Wunder, Annenheim

Rot-Blau, wieso nicht?

Es wird viel über mögliche neue Regierungskoalitionen gemunkelt und nachgedacht. Eine Möglichkeit böte sich wie von selbst an: FPÖ und SPÖ. Für manche undenkbar, aber nicht abwegig. In den Jahren 1983-1987 hatten wir auf Staatsebene eine solche Koalition, mit der FPÖ als Juniorpartner. Auf Landesebene in Burgenland. Die Kärntner Chianti-Koalition zwischen der FPÖ unter Jörg Haider und der SPÖ als Juniorpartner aus 2004 lebt noch in mancher Erinnerung weiter. Es gibt zwar starke Gegensätzlichkeiten zwischen FPÖ und SPÖ, aber auch etliche Schnittmengen. Gleich und Gleich gesellt sich gern, aber auch Gegensätze ziehen sich an.

Eine solche Koalition hätte mit 98 Mandataren (FPÖ 57, SPÖ 41) eine satte Mehrheit im Nationalrat, es wäre eine Zweierkoalition, beide Parteien bringen mehr Mandatare mit, als sie vor der Wahl hatten. Beide Parteien streben die Macht an, die sie in der Opposition nicht besaßen. Die ÖVP, seit 1987 ununterbrochen in der Regierung, zeigt deutliche Ermüdungs- und Abnützungserscheinungen. Sie könnte sich auf der Oppositionsbank erholen.
Jože Wakounig, Köttmannsdorf/Kotmara vas

Nicht liberal

Demokratie mit Vorbehalten: Ist es statthaft, den Wählerwillen von mehr als 1,4 Millionen „Souveränen“ als Entscheidung zur Rechtsradikalität, zur EU-Entfremdung und zur Ausländer-Ausgrenzung darzustellen und sich selbst als Schiedsrichter festzulegen, der seine Neutralität als Mascherl trägt? Das und genau das wäre eine Form von Demokratie mit Vorbehalten und nicht „liberal“, meine ich.
Peter Zadkovic, Graz

Mehrheit fehlt

Es ist richtig, dass Herbert Kickl prozentmäßig die meisten Stimmen für die FPÖ erreichen konnte, er ist trotzdem nicht der Volkskanzler, der er gerne sein möchte und der von den meisten anderen demokratisch gewählten Parteien als solcher abgelehnt wird. 71 Prozent der Wähler haben ihm nicht ihre Stimme überantwortet.

Ich denke, dass niemand die Sorgen der Wähler der FPÖ nicht ernst nimmt. Leider übersehen viele von ihnen, dass in einer Demokratie Mehrheiten im Parlament die Entscheidungen für 100 Prozent der Österreicher treffen. Diese Mehrheit fehlt der FPÖ ohne Partner. Der Wählerwille von 28,8 Prozent ist nicht der Wille der restlichen 71 Prozent der Österreicher, auch wenn es die FPÖ-Sympathisanten gerne so sehen wollen. Der FPÖ Vorsitzende wird seine Fähigkeiten in den Sondierungsgesprächen als Empfänger des Regierungsbildungsauftrages unter Beweis stellen können.
Josef Steiner, St. Martin

Neustart versuchen

Die Umwandlung der ÖVP, beginnend mit Sebastian Kurz, zu einer rechtspopulistischen Partei, die weder christlich noch sozial ist, hat letztendlich dazu geführt, dass die FPÖ erstmals in der Geschichte den ersten Platz bei einer Nationalratswahl erreichen könnte. Einen Absturz von 11 Prozent darf man nicht einfach aussitzen. Dem größten ideologischen Konkurrenten den Weg ins Kanzleramt zu ebnen und brav daneben zu stehen wie eine blasse Kopie, könnte der Todesstoß einer vormals stolzen staatstragenden Partei sein.

Daher wäre jetzt wahrscheinlich die letzte Chance der ÖVP, sich auf ihre christlich-sozialen Wurzeln zurückzubesinnen und gemeinsam mit der SPÖ, den Grünen oder Neos einen neuen Start in der Partei, aber auch in der Republik zu versuchen! José Curado, Klosterneuburg

Es geht um Macht

Nach diesem Wahlergebnis sollte jedem klar sein worum es geht! Es ist in Wahrheit weder Herr Kickl noch die FPÖ, die es zu verhindern gilt, sondern es geht einzig darum, die Macht, die damit verbundenen Positionen ohne Verantwortung, mit viel Geld, nicht zu verlieren. Wie es dem Volk geht, interessiert dabei doch niemanden, so ehrlich sollte man schon sein. Rechts, Links, Mitte, dieses Geschwafel kann man schon nicht mehr hören. Nimmt man heute das Wort Heimat in den Mund, ist man bereits rechtsradikal. Wer im Fußball mehr Tore schießt, ist Sieger und erhält den Pokal. Wenn drei Mannschaften verlieren, sich zusammentun sind sie auf einmal Sieger. Das ist heute „normal“.

„Es würde sehr wenig Böses auf Erden getan werden, wenn das Böse niemals im Namen des Guten getan werden könnte“. (Marie von Ebner-Eschenbach).
Hannes Löschenkohl, Kappel am Krappfeld

Sondierungsgespräche

Es kriselt an allen Ecken und Enden. Firmenpleiten, Budgetprobleme, Exportrückgang, Arbeitslosenrate, gar nicht zu reden von den Langzeitdilemmata wie Bildung, Pensionen und Gesundheit. Am Freitag gab es das erste Gespräch des Herrn Bundespräsidenten mit Kickl, dann ein geruhsames Wochenenden, danach ist Nehammer an der Reihe. Es folgen weitere Sondierungen, Beauftragungen und Berichte. Es wird lange dauern, bis eine neue Regierung steht, verkündet das Staatsoberhaupt, „diese Zeit ist gut investiert“. Nur schön gemächlich. Was heute nicht passiert, irgendwann wird es schon geschehen. Nur, das Umfeld wartet nicht auf Österreich und mehr Tempo wäre wünschenswert.
Heinz Schreiber, St. Georgen a. L.