LB: „Die Gesellschaft hat den Schuldigen gefunden“, 2. 6.
Renaturierung bedeutet Flüssen mehr Platz schaffen und damit passiven Hochwasserschutz bewirken, Wäldern mehr Vielfalt geben und damit ihre Widerstandskraft gegenüber Schädlingen und Trockenheit erhöhen, Mooren eine Zukunftsperspektive bieten und damit CO₂ binden, Wiesen wieder erblühen lassen und damit die Bestäubervielfalt erhalten. Renaturierung verhindert enorme Biodiversitätsschäden und sichert die menschliche Ernährung – dafür ausreichende finanzielle Mittel einzusetzen, ist unsere Lebensversicherung. Vertrauen Sie nicht auf populistische Fake News, sondern engagieren Sie sich für den sehr wichtigen europäischen Gesetzesentwurf (z. B. openPetition)!
Mag. Wolfgang Paill, Leiter Naturkundemuseum Graz

Kein Drüberfahren

Ich habe möglicherweise im Gegensatz zu den beiden Leserbriefschreibern den Text des „Vorschlages für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur“ (COM/2020/304 final) gelesen. Darin ist keinesfalls der Abriss von Kraftwerken, Wohnhäusern oder Betriebsobjekten die Rede. Pkt. 72 der Verordnung besagt: „Die Mitgliedstaaten sollten bei der Ausarbeitung und Durchführung ihrer nationalen Wiederherstellungspläne einen gerechten und gesamtgesellschaftlichen Ansatz fördern, indem Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit vorgesehen und die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften und Interessenträger berücksichtigt werden.“

Hier besteht ein breiter Spielraum der nationalen Politik. Die Ideenlosigkeit und parteipolitische Ignoranz besonders der regierenden ÖVP und deren Anhängseln (Bauernbund, Wirtschaftskammer, …) und der FPÖ lassen ein gesamtgesellschaftliches und zukunftsorientiertes Denken vermissen. Ich denke, dass keine der beiden Parteien interessiert ist, die Bürger über die tatsächlichen Inhalte zu informieren, sondern die Müdigkeit und vielleicht auch das Desinteresse der Wähler zu nutzen, um daraus Kapital zu schlagen.

Bei positiver Sichtweise hoffe ich, dass die Bürger ihr Wahlrecht wahrnehmen und auch, dass sie eine Wahl treffen, die die Zukunft unserer Kinder sichern wird.
Dr. Johann Hebenstreit, Graz

Betroffene einbeziehen

Beim Thema Renaturierung läuft wieder mal alles nach altem Muster ab. Jene, die es sicher nicht betrifft, schreien am lautesten. Jene, die am meisten betroffen sind, die Bauern, werden gar nicht gefragt. Was will ein Wiener Landeshauptmann renaturieren? Reißt er ein paar Hochhäuser oder ein paar Lagerhallen weg? Sicher nicht, er wird nur mit Förderungen ein paar Sparzierwege als Renaturierung neu anlegen. Was wird der Kärntner Landeshauptmann renaturieren? Es werden sicher keine erschlossenen Seezugänge sein. Auch die Steirer werden den Stubenberg- oder Schwarzlsee sicher nicht renaturieren.

Bleiben also wieder nur die Landwirte übrig. Jene, die behaupten, dass mit Renaturierung unsere Eigenversorgung (bei Weizen ist Österreich seit 2016 nicht mehr Selbstversorger) besser werden soll, sind Träumer. Das Argument, dass dann mehr bestäubt wird, ist laienhaft. Alle unsere großen Ackerkulturen – von Zuckerrübe über Weizen bis zum Mais – brauchen keine eigenen Bestäuber. Und beim Obstbau müssen die Bauern durchwegs den Fruchtansatz reduzieren, da zu gut bestäubt ist. Also, bitte bei diesen Themen die Betroffenen mehr miteinbeziehen und so renaturieren, dass es alle und nicht nur die Bauern betrifft.
Ing. Anton Kern, Graz

Bürokratiemonster

Ein vollkommen überladener und komplizierter Gesetzesdschungel kann auch sinnvolle Vorhaben für die Menschen behindern: Gesundheitsministerin Gewessler will für Österreich dieser EU-Verordnung zustimmen, darf es aber nicht, weil die Bundesländer grundsätzlich für den Naturschutz zuständig sind, und sich mit einer „einheitlichen Stellungnahme“ gegen das Renaturierungsgesetz ausgesprochen haben. Das heißt in weiterer Folge, dass Gewessler der EU-Verordnung nicht ohne Einverständnis des Landwirtschaftsministers zustimmen darf(?).

Dieses „Kompetenz-Durcheinander“ in einer ineffizienten Verwaltung ist für den Normalbürger nicht durchschaubar und kostet den Steuerzahler außerdem viele sinnlose Millionen! Vielleicht sollten wir deshalb ernsthaft darüber nachdenken, eine Art „Richtlinienkompetenz“, die es z. B. dem deutschen Bundeskanzler ermöglicht, seinen Ministern, wenn diese keine Einigung erzielen, eine Lösung anzuordnen, auch in Österreich einzuführen, und diese Möglichkeit auch den Bundesministern gegenüber den Landesfürsten einzuräumen.

Dadurch könnten diese in vielen wichtigen Themen für die Bürger nicht andauernd ihr eigenes Süppchen kochen, wie überhaupt man sich die Frage stellen sollte, ob sich das kleine Österreich wirklich neun teure Landesverwaltungen mit jeweils verschiedenen gesetzlichen Regelungen für ein und dieselbe Aufgabenstellung leisten will?
Mag. Michael Moser, Klagenfurt