14 Jahre schrieb der Amerikaner Lloyd Richards neben Familienleben und Vollzeitjob an seinem Buch "Stone Maidens", ein TikTok seiner Tochter katapultierte den Thriller nun in die Top 3 der internationalen Amazon-Bestseller-Liste. Dort rangiert das Buch im Moment hinter "Lessons in Chemistry" von Bonnie Garmus auf dem zweiten Platz. 10,3 Millionen Likes und mehr als 48 Millionen Aufrufe hat das Video des Neuautors inzwischen und ist ein Zeugnis dessen, wie soziale Medien wie TikTok die Welt der Literatur in der jüngsten Vergangenheit gewandelt haben.
Nicht nur international revolutioniert der Hashtag "booktok" die Buchbranche, auch auf dem heimischen Markt ist der Einfluss der Social Media-Plattform bereits merklich spürbar. "Sobald Bücher auf TikTok vermehrt in den Fokus geraten, spüren wir diesen Trend auch in der Nachfrage in den Filialen", sagt Kerstin König, Marketing-Teamleiterin von Thalia Österreich. Entwicklungen auf der Videoplattform beobachtet das Unternehmen inzwischen genau. "Das ist manchmal durch die Fülle an verfügbaren Videos gar nicht so einfach", weiß König.
Eigene #booktok-Regale
Für den Buchmarkt ist TikTok inzwischen essenziell. "Wir wollen möglichst schnell handeln und reagieren, wenn wir bemerken, dass sich um ein spezielles Buch verstärkt ein Trend entwickelt, um genügend davon im Sortiment zu haben", erklärt König, denn dieser übertrage sich meist wenig später direkt auf die Nachfrage. Die Plattform könne zudem auch für neue Autoren wie im Falle von Lloyd Richards ein Sprungbrett sein.
#booktok findet sich inzwischen nicht mehr nur im digitalen Raum, viele Buchhandlungen haben den Zeitgeist erkannt und auch in ihren Filialen eine eigene Abteilung eingerichtet - so auch Thalia. "In großen Filialen sind es meist nicht mehr nur Tische, sondern ganze Regalbereiche." Seit November 2022 ist das Buchhandelsunternehmen auch selbst auf TikTok aktiv. "Wir wollen diese Entwicklung live miterleben", sagt König. Im Fokus stehen dabei die Mitarbeitenden in den Filialen, die unter dem Hashtag Bücher vorstellen, eine digitale Erweiterung der Beratung, wie die Marketing-Leiterin erklärt. Auch online gibt es eine eigene Seite für die auf TikTok beliebtesten Bücher.
Ein Spiegel des Zeitgeists
Neben gerade erschienenen Büchern finden durch TikTok auch ältere Romane ihren Weg in die heimischen Bestseller-Listen und erleben aufgrund dessen eine Renaissance. "Man merkt zudem, wie die Bücher immer auch die Interessen der Gesellschaft ein wenig abbilden und dass es im Grunde um den Kern der Geschichten geht, die auch nach 20 Jahren noch aktuell sein können", sagt König. So sei "Das Lied des Achill", der Debütroman von Madeline Miller, derzeit hoch im Kurs. "Es vereint die Faszination der griechischen Mythologie mit LGBTQ-Themen, in diesem Fall der Liebesgeschichte zwischen Achill und Patroklos – eine schöne Verbindung von Vergangenem und Aktuellem."
Nicht nur der Buchhandel, auch Verlage spüren den durch soziale Medien hervorgerufenen Aufwind in der Branche. Sebastian Maurer vom Verlag "edition a", der unter anderem Autor Thomas Brezina verlegt, ist nicht entgangen, dass die Buchbranche sich durch die digitale Welt in eine neue Richtung bewegt. "Vor allem bei Lesungen und Buchpräsentationen spiegelt sich das im Publikum wider. Bei Thomas Brezina sind oft sehr viele junge Leute, für die er nicht die Nostalgiefigur ist wie für die Generation, die mit Büchern wie Tom Turbo und der Knickerbockerbande aufgewachsen ist." Dass Brezina selbst eine starke Online-Präsenz hat und Neuerscheinungen und Einblicke in seinen Alltag teilt, trage zur Reich- und Tragweite seiner Literatur bei, weiß Maurer.
Generationsübergreifend
Im Verlagswesen gilt es nun, neue Wege zu ergründen und zu experimentieren, sagt er. "Die Herausforderung ist, mit dieser Schnelllebigkeit mitzuhalten." Zudem spiele Ästhetik inzwischen in manchen Fällen eine ebenso große Rolle. "Wir bemerken, dass Leute gerne Bücher kaufen, deren Cover in Pastelltönen gehalten sind, damit sie im Regal gut aussehen", so Maurer. "Auch wenn es ja eigentlich um den Inhalt gehen sollte, ist es eine Entwicklung, die wir mitbedenken müssen." Das bestätigt auch König. "Bücher in Pastellfarben werden derzeit von Kundinnen und Kunden als ansprechend empfunden."
Der Hype um bestimmte Bücher hat zudem einen weiteren positiven Nebeneffekt: "Soziale Medien sind eigentlich ein Konkurrent für die Buchbranche, denn wir alle verbringen sehr viel Zeit am Handy. Doch jetzt bemerkt man deutlich, dass das Lesen und Bücher wieder mehr in den Fokus gerät und sich Menschen wieder mehr Raum zum Entschleunigen geben." Dass #booktok nicht nur junge Menschen berührt, zeigt sich auch in der Statistik, wie König erklärt. "Auf TikTok ist unser Hauptpublikum zwischen 18 und 34 Jahren alt, also generationsübergreifend."