Barrierefreiheit im Alltag für Menschen mit Beeinträchtigung ist ein Wunschtraum, bei dem es für viele Betroffene noch dauern wird, bis er tatsächlich in Erfüllung geht. Nicht nur auf der Straße oder bei der Bewältigung von alltäglichen Tätigkeiten scheitert es häufig an der Infrastruktur, auch in Sachen Mode fehlt es vielfach noch am Bewusstsein für die Bedürfnisse der Betroffenen.
Bernadette de Roja ist Model – und lebt mit einer Beeinträchtigung. Seit einem Unfall 2009 mit damals nur zwölf Jahren leidet die gebürtige Villacherin an einer spastischen Tetraparese. Lange Zeit saß sie im Rollstuhl, heute braucht sie diesen nur mehr für längere Strecken. "Ich musste alles wieder neu erlernen", erzählt sie. Ein Schicksalsschlag auf allen Ebenen für die junge Kärntnerin, die jetzt in Graz studiert. "Der Unfall hat in jeder Hinsicht mein Leben verändert. Mit zwölf Jahren beginnt man gerade, seinen eigenen Stil zu entwickeln und will experimentieren, auf einmal ist alles, was man tragen kann, weite Pullover und Jogginghosen. Das war kein schönes Gefühl", erinnert sie sich.
Zu eng und nicht komfortabel
Sich zugehörig fühlen und normal behandelt werden – das wünschen sich beeinträchtige Personen, weiß de Roja aus eigener Erfahrung. "Und da gehört eben auch dazu, dass man sich beim Rausgehen gerne so anziehen möchte, dass man sich auch wohlfühlt. Kleidung klassischer Modeketten kommt da meist nicht infrage, weil sie für Menschen mit Beeinträchtigung nicht komfortabel, zu eng oder zu schwierig anzuziehen ist."
Circa eine Million Personen in Österreich sind körperlich beeinträchtigt, 0,5 Prozent sitzen im Rollstuhl. Eine große Personengruppe, die in der Modeindustrie immer noch kaum mitbedacht wird. Ein Umstand, der de Roja stört. "Beeinträchtige Menschen werden immer als Randgruppe gesehen, obwohl wir das nicht sind. Überall wird über Inklusion gesprochen, doch was bislang umgesetzt wird, ist am Ende des Tages einfach immer noch zu wenig." Als Model will die sie Mutmacherin für andere Personen mit Beeinträchtigung sein. "Uns wird so oft eingeredet, dass wir Dinge aufgrund unserer Handicaps nicht können, das darf man niemals glauben", sagt die Villacherin, die bei der Miss-Kärnten-Wahl 2019 Sechste wurde.
Gefühl von Normalität
Die Grazerin Claudia Polic ist mit dem Problem fehlender Möglichkeiten, als beeinträchtigte Person schöne Kleidung zu bekommen, vertraut. Sohn Georg leidet an einer Muskelschwäche, ihr Ehemann verlor bei der Arbeit ein Bein – zwei Gründe für die gelernte Schneiderin, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen: Vor zehn Jahren gründete sie ihr Unternehmen "Unperfekt", das spezielle Kleidung für Menschen mit Beeinträchtigung schneidert – "Adaptive Fashion", wie es in der Branche heißt. "Vor allem Menschen im Rollstuhl brauchen Schnitte, die an die Körperform im Rollstuhl angepasst sind, normale Hosen aus dem Geschäft sind das nicht, sie rutschen hinten dann nach unten oder werfen vorne unschöne Falten", sagt sie.
Hosen mit Zips für Katheter und Prothesen, Hochzeitskleider und -anzüge, aber auch Taschen für den Rollstuhl stellt die Schneiderin her, ihre Kunden kommen inzwischen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. "Kleidung, die schön und dennoch den Bedürfnissen der Menschen angepasst ist, gibt ihnen ein Gefühl von Normalität – und es ist eine Form des Respekts, Personen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit zu geben, sich mit ihrem persönlichen Stil auszudrücken", weiß Polic.
Wichtige Botschaft
Die Grazerin ist nicht die Einzige, die sich der besseren Inklusion beeinträchtigter Personen in die Modewelt verschrieben hat. Ein Kollektiv aus Designerinnen kreiert in Wien als MOB Industries (Mode ohne Barrieren) komfortable und dennoch stylische Stücke aus hochwertigen Materialien für Betroffene, unter anderem setzen sie ein Magnetsystem ein, das das Schließen der Kleidungsstücke für die Träger vereinfacht.
Kleinwüchsigen Menschen hat sich Sema Gediks Berliner Label "Auf Augenhöhe" verschrieben, das speziell angepasste Mode für Frauen und Männer verkauft. Auch auf der Online-Plattform Zalando ist "Adaptive Fashion" seit Oktober verfügbar, ein erster Schritt der kommerziellen Modeindustrie hin zum Angebot inklusiver Kleidung auf breiter Ebene.
Eine wichtige Botschaft, wie de Roja findet. "Denn maßgeschneiderte Mode ist toll, aber auch eine Geldfrage. Es wäre so wichtig, dass wirklich alle Menschen niederschwelligen Zugang zu Kleidung haben, die ihnen auch gefällt."