Vom ewigen Eis ist wenig über. Nur vereinzelt kleben Altschneefelder in den Senken und Klüften, aufgeweicht von warmen Sommermonaten trotzen sie der Herbstsonne. Die Nebel der letzten Tage sind die Flanken der umgebenden Gipfel hinaufgeklettert, verwandeln das kleine Plateau zu einer Aussichtsplattform mit Endlosaussicht: Richtung Norden fällt der Blick hinunter ins Ötztal, nach Süden ins Schnalstal, wo am Talausgang der türkisblauer Speicherteich von Vernagt heraufblinzelt. Eine alpine Passhöhe aus dem Lehrbuch. Und ein Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde.

Vor 30 Jahren, am 19. September 1991, entdeckt ein deutsches Wanderer-Ehepaar hier, am Tisenjoch auf 3210 Meter Seehöhe, einen skelettierten Hinterkopf aus einem angetauten Eisfeld hinter einem Stein ragen. Erika und Helmut Simonglauben zunächst an einen verunglückten Bergsteiger. Sie melden ihren Fund in der nahen Similaunhütte – und steigen ins Tal ab. An diesem Donnerstag ahnt noch niemand, welche Bedeutung die ledrige Leiche wenig später haben wird.