Die seit 6. April tobende Schlacht um Wien neigt sich dem Ende zu. In einem Kampf oft Haus um Haus drängen die sowjetischen Truppen die geschwächten Verteidigungseinheiten der deutschen Wehrmacht an den Donaukanal. Rund 20.000 Soldaten sollen in der Stadt einige Hunderttausend Rotarmisten des Marschalls Tolbuchin aufhalten. An diesem 11. April 1945 steht so gut wie fest, dass der Zweite Weltkrieg für Wien nur noch eine Frage weniger Tage sein wird.

Das Wahrzeichen der einstigen Kaiserstadt der Habsburger, von den Nationalsozialisten 1938 schließlich zu einem Reichsgau degradiert, der Stephansdom, steht noch. Wenn auch beschädigt. Das Meisterwerk gotischer Baukunst überstand mehr als 50 Luftangriffe auf Wien, nur vom letzten, dem schwersten, am 12. März, dem Funken für den vernichtenden Brand der Staatsoper, trugen das Burgtheater, die Albertina wie auch der von den Wienern liebevoll „Steffl“ genannte Dom schwere Schäden davon. Wie Einschläge im Dach. Noch steht sie fest da, diese Kathedrale des Erzbischofs von Wien.

Vergebliche Löschversuche

Das sprichwörtliche Blatt wendet sich in den letzten Stunden dieses Krieges in Wien. In der Nacht vom 11. auf 12. April gerät der Dachstuhl des Domes durch Funkenflug, begünstigt durch die noch vom Bombenangriff herrührenden Löcher, in Brand, der sich ungehindert ausbreitet. Die Wiener Feuerwehr ist von den Nazibehörden schon vor Beginn der Schlacht um die Stadt abgezogen worden. Der Reichsstatthalter und Gauleiter Baldur von Schirach gab auch längst Fersengeld. Es wird berichtet, wie einige Männer und Frauen versuchen, das Feuer kübelweise zu löschen. Ein vergebliches Unterfangen. Zuerst stürzt die „Halbpummerin“, mit zehn Tonnen Gewicht die zweitgrößte Glocke des Stephansdoms, hinunter. Am Vormittag des 12. April steht das aus Lärchenstämmen gezimmerte Gebälk zwischen den Türmen des Doms in Flammen und bricht ein.

Der Dom-Innenraum, wie er heute aussieht
Der Dom-Innenraum, wie er heute aussieht © APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Durch die schon löchrige Decke dringt Glut in das Innere der Kirche, setzt die aus dem Jahr 1886 stammende Orgel mit ihren 90 Registern in Brand und vernichtet sie. Wie eine Verklärung werden Augenzeugen später erzählen, sie hätten, während Flammen aus den Orgelpfeifen züngelten, leise Klagetöne, Seufzer vernommen. Was durchaus auf recht irdische Gründe zurückzuführen sein dürfte – auf die durch die Pfeifen drängende heiße Luft. Am Nachmittag, es ist 14.30 Uhr, stürzt die 22 Tonnen schwere Pummerin herunter und zerbirst.

Trotz der Verheerung scheint es in den Abendstunden, als ob der Kirchenraum weitgehend erhalten geblieben sei. Bis schließlich in den Morgenstunden des nächsten Tages, des 13. April, es ist ein Freitag, das Gewölbe nachgibt und einstürzt. „Wir wurden von einer dichten, undurchdringlichen Staubwolke eingehüllt, sodass in der gähnenden Finsternis jede Orientierung unmöglich war“, schildert Domkurat Lothar Kodeischka, der mit einigen Helfern aufräumte, später das katastrophale Geschehen, das um 4.15 Uhr über sie hereinbrach und den einst stolzen Stephansdom endgültig in eine Ruine verwandelte. Der Dom fiel freilich nicht, wie lange kolportiert wurde, dem Beschuss deutscher Artillerie oder sowjetischer Bomben zum Opfer, sondern es waren heimische Plünderer, die Häuser in der Umgebung des Doms abfackelten. Die Funken dieser Feuer brachten dem Dom Verheerung.

Der Kampf um Wien findet an diesem Freitag den 13. sein Ende. Die deutschen Truppen setzen sich ab, nur südlich der Donau dauern dann noch Gefechte an. Das sowjetische Radio vermeldet am Nachmittag den Sieg der Roten Armee, während der Wehrmachtsbericht meldet, die Straßenkämpfe in Wien dauerten noch an. Tags zuvor war in den Vereinigten Staaten in Warm Springs Präsident Franklin D. Roosevelt gestorben. Was dem in seinem Bunker der Berliner Reichskanzlei tobenden Adolf Hitler, befeuert von seinem mephistoartigen Propagandisten Joseph Goebbels, wie ein rettendes Wunder vor dem Untergang erscheint. „Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch“, gibt der Diktator als Tagesbefehl aus.

Der Wiener Stephansdom
Der Wiener Stephansdom © (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)

In Wien gelten da die Tagesbefehle aus dem Berliner Untergrund schon nicht mehr. Am 14. April organisiert sich die Sozialistische Partei im Roten Salon des Wiener Rathauses neu und bestellt einen provisorischen Parteivorstand mit Adolf Schärf als vorläufigem Vorsitzenden. Im Schottenstift gründen am 17. April Leopold Figl, Leopold Kunschak, Julius Raab und Felix Hurdes die Österreichische Volkspartei. Schon sieben Tage später verfügt Österreich über eine provisorische Regierung unter Karl Renner, die zwar vorerst nur von der Sowjetunion anerkannt wird, aber es ist ein Anfang.

Die junge Zweite Republik nimmt den Wiederaufbau des Stephansdoms zügig in Angriff, es wird ein Anliegen des ganzen Landes. Am 23. April 1952 kann der Dom feierlich eröffnet werden, daneben schon aufgestellt die neue Pummerin. Acht Jahre später erklingt im Dom auch die neue Riesenorgel, mit 125 Registern auf vier Manualen. Dieses Nachkriegsinstrument wurde längst stillgelegt und eine neue Riesenorgel für den Stephansdom gebaut, die am heutigen Ostersonntag, genau 75 Jahre nach der Zerstörung der Vorgängerin, hätte geweiht werden sollen.