Wenn sich die Welt dem Weihnachtstakt hingibt, steht bei Erwin Perzy III. die Welt gerade kopf, auch weil er, wie gerade, eine Schneekugel kopfüber hält. Es schneit also vom Boden in den Himmel. Eine verkehrte Welt, aber damit kennt sich Erwin Perzy III. gut aus, denn hier, in diesem Haus in Wien Hernals, ist nichts, wie es andernorts zu dieser Zeit so üblich ist. Bei Herrn Perzy klingt das so einfach, was für andere eine Hiobsbotschaft, nein, eine ganz große Katastrophe wäre: „Weihnachten fällt bei uns immer aus.“ Das können eigentlich nur das Christkind, der Weihnachtsmann und Erwin Perzy III. samt Familie von sich behaupten. Denn wenn anderswo idyllisch gefeiert wird, wird in der Werkstatt von den Perzys an der Idylle im Kleinformat geschraubt: Seit mittlerweile drei Generationen werden hier Schneekugeln entworfen und mit viel Liebe zum Detail gefertigt.

Damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende, sie beginnt erst, denn die Erinnerung an den Beginn ist alles andere als Schnee von gestern, denn Erwin Perzy I., Großvater von Erwin Perzy III., ist niemand Geringerer als der Erfinder der Schneekugel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließ er das patentieren, was aus einer Portion Neugier, einer Portion Handwerk und einer Portion Zufall entstanden ist: die „Glaskugel mit Schneeeffekt“. Der gelernte Chirurgieinstrumentenmechaniker feilte an einer verbesserten Beleuchtung für Operationssäle und experimentierte mit einer sogenannten Schusterkugel: einer mit Wasser gefüllten Glaskugel mit einer Kerze dahinter. Um das Licht zu reflektieren, füllte er diverse Stoffe ein, auch Grieß. Ziemlich schnell erkannte er den Marktwert seiner Erfindung: Leise rieselt der Schnee.

Erwin Perzy III. in seinem Reich
Erwin Perzy III. in seinem Reich © Stanislav Kogiku

Wenn Enkel Erwin Perzy III. diese Anekdoten erzählt, muss er unweigerlich laut lachen, denn erfinden, das heißt auch scheitern: „Der Grieß hat nach ein paar Tagen zu faulen begonnen und ist immer mehr aufgequollen, die Schneeflocken wurden immer größer.“ Fünf Jahre lang hat der Großvater gebraucht, um die Schneekugel zur Serienreife zu bringen. Das Geheimnis des Schnees wurde über die Perzys I., II. und III. immer weiter perfektioniert. Die Nummer III als Schneekönig zu bezeichnen, ist nicht falsch: „Der Schnee, den mache nur ich, das ist mein ganz persönliches Geheimnis. Das weiß keiner in der Firma, woraus der besteht. Mein Vater hat den Schnee noch händisch gemacht und ich habe mir eine Maschine gebaut.“ Wo diese Maschine steht, ist ebenso ein Geheimnis, den Schlüssel zu diesem Raum besitzt nur er. Wer jetzt glaubt, das ist ein Märchen, dem lässt er ausrichten: „Sie können Herr Holle zu mir sagen.“

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Rund 2000 Figuren gibt es in der Schneekugelmanufaktur
Rund 2000 Figuren gibt es in der Schneekugelmanufaktur © Susanne Rakowitz

Während Erwin Perzy III. durch das Haus führt, das nicht nur ein Museum, einen Shop und die Werkstätten beherbergt, stolpert man über alle möglichen Schneekugel-Utensilien: alte Figuren, neue Figuren, Glaskugeln und zwischendrin Menschen, die mit einem Lächeln dem ewigen Schneetreiben hinter der Kugel beiwohnen. Reproduzierbarer Schneefall in Zeiten des Klimawandels? „Mit uns sind weiße Weihnachten garantiert“, stellt der Hausherr trocken fest. Exportiert werden die Schneekugeln in alle Welt, der Hauptabsatzmarkt sind jedoch die USA und Japan. Ein Amerikaner hat Herrn Perzy II. nach dem Krieg auf die Idee gebracht, doch Kugeln mit Weihnachtsmotiven zu gestalten. Zur Frau Holle gesellte sich in Folge also auch die Goldmarie. Als Erwin Perzy III. seine Meisterprüfung als Werkzeugmacher abgeschlossen hatte, wurde er zur Geschenkartikelmesse nach New York geschickt. Jahre später hat der heute 62-Jährige den japanischen Markt erschlossen.

Die vierte Generation ist mit Tochter Sabine Perzy II. bereits im Geschäft. In etwa 200.000 Schneekugeln in verschiedenen Größen werden pro Jahr gefertigt. Rund 2000 Spritzgussformen mit unterschiedlichsten Motiven haben sich über die Jahre angesammelt. Jede einzelne Figur entsteht nur dadurch, dass man sie als Negativform in Metall einarbeitet. Die Formen, die Werkzeuge und die Maschinen entwickelt Erwin Perzy III. selbst. Eine Schneekugel besteht aus einem Motiv, einem Motivträger einer Glaskugel und Wiener Hochquellwasser. „Das können Sie austrinken und auch der Schnee ist ungiftig.“ Das passt zur Produktionsphilosophie der Manufaktur: „Wir versuchen, möglichst umweltneutral zu produzieren. Wir verarbeiten rund 30 Tonnen Material im Jahr und von diesen 30 Tonnen sind sicher 20 Tonnen Recyclingmaterial.“

Die Familie Perzy beliefert auch Kaiser Robert Heinrich I.
Die Familie Perzy beliefert auch Kaiser Robert Heinrich I. © Susanne Rakowitz

Gefertigt werden auch ganz individuelle Schneekugeln, nicht nur für Firmen, sondern auch für Präsidenten: Ronald Reagan, Bill Clinton und Barack Obama besitzen Schneekugeln aus Hernals. Und selbstverständlich ist man Hoflieferant für Kaiser Robert Heinrich I. Hunderte Pinguin-Schneekugeln wurden für „Wir sind Kaiser“ bereits gemacht. Man ist also weltberühmt, auch auf Instagram (@snowmanthethird). Dort reist der Schneemann in seiner Kugel mit Erwin Perzy III. um die Welt. Herr Holle gibt offen zu: „Ich mag es lieber warm.“
Nicht nur deshalb sind die Destinationen des passionierten Reisenden exotisch, sondern auch, weil er um ein Geheimnis weiß: Die kleine Welt kann nur dann eine Idylle sein, wenn man auch die große Welt gesehen hat. Oder um es mit André Heller zu sagen: „Am Ende aller Reisen weiß man wiederum die Erde rund.“ Ach, die Welt, sie ist eine Kugel. Niemand weiß das besser als Erwin Perzy III.