Matteo Salvini feuert aus allen Kanälen. Alle paar Stunden klärt der italienische Innenminister seine Anhänger auf Facebook und Twitter auf. Kein Tag vergeht, an dem der 45-Jährige nicht in Dutzende Fernsehkameras spricht. Salvini ist der Politiker der Stunde in Italien. Als Innenminister, Vizepremier und Chef der rechtsnationalen Lega, die eigentlich der Juniorpartner in der Regierungskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung ist. Salvini hat in Rom die Hosen an, das haben in Italien und über die Landesgrenzen hinaus die meisten verstanden.

Seine Methode ist der pausenlose Tabubruch. Die NGOs, die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer aus Schlauchbooten ziehen, vergleicht der Innenminister mit „Schleppern und Mafiosi“. Italien werde keinen einzigen Migranten mehr aufnehmen, tönt er, obwohl die Wirklichkeit differenzierter aussieht. Vor Tagen erklärte sich Regierungschef Giuseppe Conte bereit, 50 Flüchtlinge von dem in Malta gelandeten NGO-Schiff „Lifeline“ aufzunehmen. Auch die Küstenwache oder Frachter bringen immer wieder Migranten in Italien an Land.

Matteo Salvini
Matteo Salvini © APA/AFP/TIZIANA FABI (TIZIANA FABI)

Als Parteichef der Lega kündigte Salvini an, die Barackensiedlungen von Sinti und Roma in Italien mit der Planierraupe dem Erdboden gleichzumachen. Als Minister schlug der 45-Jährige nun eine Zählung der Ethnie vor und erntete sowohl Zuspruch als auch Empörung. Tunesien exportiere „Gauner“, behauptete Salvini kürzlich. Und fast hätte man es vergessen: Brüssel und der Euro haben auch ihren Platz im Suppentopf der Feindbilder. Salvinis Getöse hat vor allem einen Adressaten, die italienischen Wähler. Immer mehr von ihnen sind einverstanden mit den drastischen Tönen und Gesten aus Rom. Einer Umfrage zufolge halten 72 Prozent der Italiener die kompromisslose Linie Salvinis in der Ausländerpolitik für richtig. Die Lega, deren Parteichef Salvini seit 2013 ist, erlebt einen Boom. Bei den Parlamentswahlen vor fünf Jahren erzielte die Partei, die damals noch den Beinamen „Nord“ trug, gerade einmal vier Prozent der Stimmen.

Unter Salvini vervierfachte sich der Stimmenanteil bei den Wahlen im März. Heute, knapp vier Monate später, würden Umfragen zufolge rund 30 Prozent der Italiener der Lega und damit Salvini ihre Stimme geben. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist ins Hintertreffen geraten. Premierminister Giuseppe Conte vertritt Italien bei internationalen Gipfeltreffen. Doch es ist Vizepremier Salvini, der die Agenda bestimmt. Mal tritt der Raucher als umgänglicher Schwiegersohntyp auf. Er kann auch leiser, wenn er will. Zigaretten zündet er sich zum Beispiel nicht vor laufender Kamera an. Salvini, 1973 in Mailand geboren, hat ein Talent für Auftritte in der Öffentlichkeit. Als Jüngling trat er mehrfach in Quiz-Shows im italienischen Fernsehen auf, schüchterner als heute, aber doch schon bestimmt. Als „Nichtstuer“ stellte er sich in einer Sendung von 1993 vor.

Matteo Salvini
Matteo Salvini © APA/AFP/TIZIANA FABI

Heute ist Salvini mit einer Fernsehmoderatorin liiert. Einmal gerierte sich Salvini als Kommunist, einmal als Separatist, und über Süditaliener schimpfte der AC-Mailand-Fan früher auch zuweilen öffentlich. Auf einem Video von 2009 ist der EU-Parlamentarier Salvini zu sehen, wie er mit Bier in der Hand einen Hohngesang über „stinkende Neapolitaner“ anstimmt, die sich „noch nie mit Seife gewaschen“ hätten. Seit 1990 war der gelernte Journalist und spätere Mailänder Stadtrat Mitglied der separatistischen Lega Nord von Umberto Bossi, einem ehemaligen Verbündeten Silvio Berlusconis. Mit dem 81-jährigen Ex-Premier trat Salvini als Parteichef der Lega nun in einem Mitte-rechts-Bündnis zur Wahl an.

Dass er die Partei italienweit aufstellte, gilt als einer der großen politischen Schachzüge des Innenministers. Einige in Rom erwarten in nicht allzu ferner Zeit seinen nächsten politischen Streich: Berlusconi auch ganz offiziell als den Sprachführer der italienischen Konservativen zu ersetzen und nach Neuwahlen selbst Ministerpräsident zu werden. Doch bis dahin muss Salvini noch das Feld beackern. „Wir haben es satt, das Flüchtlingslager für ganz Europa zu sein“, tönte er und verschweigt, dass die Flüchtlingszahlen in Italien seit einem Jahr drastisch zurückgehen.

Politische Allianzen weltweit

Mit den Innenministern aus Österreich und Deutschland schloss sich der 45-Jährige bereits kurz. Der gemeinsame Nenner lautet „Verteidigung der Landesgrenzen“, obwohl die Einzelinteressen stark divergieren. Salvini ist selbstverständlich ein entschiedener Gegner von Zurückweisungen von Flüchtlingen nach Italien, die dort bereits zuvor registriert worden waren. Lange vor der Wahl im März schmiedete er weltweit politische Allianzen. Mit Marine Le Pens Front National bildet die Lega eine Fraktionsgemeinschaft im Europaparlament, man ist sich einig in der abgrundtiefen Abneigung gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron. Auch zur FPÖ oder zur deutschen AfD gibt es beste Kontakte. Die Lega hat außerdem eine Partnerschaft mit der Putin-Partei „Einiges Russland“ und ist erklärter Gegner der EU-Sanktionen.

Heinz-Christian Strache, Marine Le Pen und Matteo Salvini
Heinz-Christian Strache, Marine Le Pen und Matteo Salvini © APA/AFP/GIUSEPPE CACACE

Wie weit Salvini über den rechtsnationalen Rand hinausschielt, ist nicht immer eindeutig zu beantworten. Seine Sympathie-Aktionen für Neonazis sind belegt. Im vergangenen Sommer besuchte der Lega-Chef demonstrativ ein Strandbad und einen Faschisten-Treff in Chioggia an der Adria, dessen Besitzer Mussolini-Bilder und -Sprüche auf Anordnung der Polizei abmontieren musste. Vor Wochen wurde der Innenminister im Fußballstadion mit einer Pivert-Jacke fotografiert, die ein Statussymbol unter italienischen Neonazis ist. Wer Salvinis Geschick im Umgang mit der Öffentlichkeit kennt, hält das kaum für einen Zufall.