Als am 22. November 1963 mitten in Dallas die Gewehrschüsse von Lee Harvey Oswald den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in dessen offenem Wagen trafen und tödlich verletzten, waren nicht nur die USA, sondern große Teile der Weltöffentlichkeit geschockt. Mit dem jungen Präsidenten hatten sich so viele Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaft verknüpft, er galt mit seinem Charisma als Garant für das Abwerfen alter Fesseln und für die Durchlüftung des eigenen Landes und der Welt. Er erschien vielen Menschen als die personifizierte Antwort auf die Trägheit, die sich im Jahrzehnt zuvor in den USA und in der westlichen Welt breitgemacht hatte. Und tatsächlich hatte er der jungen Bürgerrechtsbewegung, die für die Gleichstellung der Afroamerikaner eintrat, ein Bürgerrechtsgesetz versprochen, und dieses Versprechen brachte ihm die entscheidenden Stimmen im Wahlkampf von 1960. Erstmals berief Kennedy sodann auch Afroamerikaner in hohe politische Funktionen.

Seit Rosa Parks aus Alabama sich 1955 geweigert hatte, im Bus ihren Sitzplatz für einen Weißen zu räumen, was zu Tumulten führte, war die Rassenfrage auf der politischen Agenda der USA. Der Baptistenpfarrer Martin Luther King stellte sich an die Spitze der Bürgerrechtsbewegung, und als 250.000 Menschen im August 1963 durch Washington zogen, rüttelte er mit seiner Rede („I have a dream - Ich habe einen Traum“) Amerika und die Welt auf. Und tatsächlich entwickelte die Kennedy-Administration ein Bürgerrechtsgesetz, das schließlich 1964 unter Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson beschlossen wurde.

Rosa Parks nach ihrer Verhaftung
Rosa Parks nach ihrer Verhaftung © AP (Gene Herrick)

Aber es war auch Kennedy, der die USA ohne Kriegserklärung bereits in den Vietnamkrieg stolpern ließ. Dennoch war es erst sein Nachfolger, der 1964 offiziell in diesen Krieg eintrat und letztlich auch dafür als verantwortlich gebrandmarkt wurde. Es waren diese beiden Problembereiche, an denen sich in den USA und von dort ausgehend in weiten Teilen der Welt eine Protestbewegung gegen die behäbigen Fünfzigerjahre entzündete. Die Eisenhower-Ära, die Babyboomer, die Vorstadtbewohner mit den gepflegten Vorgärten und den großen Autos, die heile Welt, all das wurde von einer kritischen jungen Generation hinterfragt. Dabei war diese Generation, soweit sie weiß war, relativ unbekümmert aufgewachsen.

Als aber ein Studierendenprojekt 1963 viele dieser jungen Leute in den Süden brachte, wo sie im „Mississippi Freedom Summer“-Projekt die Arbeit in den Plantagen kennenlernen sollten, veränderte das die Wahrnehmung. Plötzlich stand man vor Toilettentüren mit der Aufschrift „Schwarze“ oder „Weiße“, man sah die getrennten Schwimmbäder und die getrennten Parkbänke. Aus Entsetzen wurde Solidarität. War man in Anzug oder Petticoat angereist, so kehrte man mit Latzhose, der Bekleidung der Farmarbeiter und Vorläufer der Blue Jeans, in die Elternhaushalte zurück. Ein Generationskonflikt begann mit Kleidung, Haartracht und mit neuer Musik.

Martin Luther King bestand auf seiner Ethik der Gewaltlosigkeit und setzte auf das Wort als Waffe, aber vielen jungen Schwarzen war das nicht genug. Es etablierte sich die Black Power, eine Bewegung, für die Martin Luther King zu sanft und zu kompromissbereit war. Sie setzten auf radikalere Protestformen, entdeckten ihr afrikanisches Kulturerbe, ließen sich die Haare nicht länger glätten und nannten sich Black Muslims und wechselten die Religion. Malcolm X, der radikale Anführer der „Nation of Islam“, wurde 1965 ermordet, was zur weiteren Radikalisierung führte. Aus Cassius Clay, dem umjubelten Boxchampion, wurde Muhammad Ali, und die Black Panthers zeigten bei den Olympischen Spielen von 1968 in Mexico City die Faust im schwarzen Handschuh.

Tommie Smith und John Carlos mit dem Black-Panther-Salute bei den Olympischen Spielen in Mexico
Tommie Smith und John Carlos mit dem Black-Panther-Salute bei den Olympischen Spielen in Mexico © (c) AP

Afroamerikanische Kleidung, gekraustes Haar (im Musical „Hair“ 1968 zum Kult erhoben), afrikanische Wurzeln, konstruierte moslemische Tradition, eine neue, eigene Musik, all das grenzte die weißen Unterstützer der Bürgerrechtsbewegung bald aus. Und als Martin Luther King am 4. April 1968 in Memphis, Tennessee, von einem Rassisten erschossen wurde, war der Traum eines gemeinsamen Weges zu einer gerechteren Gesellschaft für längere Zeit ausgeträumt.


Überlappend, aber nicht deckungsgleich mit der Bürgerrechtsbewegung, entfaltete sich der Protest gegen das amerikanische Engagement in Vietnam. Bis in die sechziger Jahre waren die amerikanischen Soldaten in ihrer Heimat als Helden angesehen worden. In den Dörfern band man gelbe Bänder um die Bäume („Tie a yellow ribbon round the old oak tree“), um den tapferen Heimkehrer zu begrüßen. Doch nun war alles anders. Das Fernsehen brachte erstmals die Grausamkeit des Krieges in die Wohnzimmer der Nation, man sah die Toten, die Verwundeten, man sah die Entlaubungen und man sah das Massaker von My Lai. Die amerikanische Gesellschaft hatte für die Heimkehrer keinen Platz mehr im Olymp der Helden, als oftmals kaputte Existenzen lebten viele ausgegrenzt in den Wohnwagenquartieren am Rande der Städte oder in den Elendsvierteln.

In diesen Krieg wollten die meisten jungen Amerikaner nicht ziehen. An den Universitäten wurde gegen den Einsatz der Forschung für militärische Zwecke protestiert, und als die allgemeine Wehrpflicht auch die Studierenden zu erfassen begann, regte sich Protest. „We won't go“ skandierte man an den Universitäten, verbrannte Einberufungsbefehle und verhinderte, dass die Militärbehörden Einsicht in die Personalakten der Studierenden erhalten konnten. Das Land war in Aufruhr, dieser Krieg war nicht mehr patriotisch interpretierbar. Viele junge Studierende gingen über die grüne Grenze nach Kanada, um der Einberufung nach Vietnam zu entgehen. Manche bessergestellten jungen Leute konnten, wie Bill Clinton, auf ein Auslandstudium nach Europa gehen, für andere, wie etwa für George W. Bush, richteten es die Väter. Der junge Bush konnte seinen Militärdienst im Land ableisten.


Präsident Johnson verzichtete angesichts dieser Proteste auf die Kandidatur für eine weitere Amtszeit. So entbrannte unter den Demokraten ein erbitterter Vorwahlkampf, dessen dramatischer Höhepunkt die Ermordung von Robert Kennedy, dem jüngeren Bruder von John F. Kennedy, am 6. Juni 1968 in Los Angeles war. Der Wahlkampf stand ganz im Zeichen des Krieges, und dass am Ende Richard Nixon von den Republikanern als Sieger hervorging, zeigte an, dass in der breiten Öffentlichkeit die Sehnsucht nach den ruhigeren Zeiten unter Eisenhower, als dessen Vizepräsident Nixon agiert hatte, bereits die Oberhand gewonnen hatte.

Die politische Zielrichtung der Proteste, sowohl des afroamerikanischen Protests als auch der Antikriegsbewegung, war allerdings mit den Schüssen auf Martin Luther King und auf Robert Kennedy brutal gestoppt worden. Man nahm schmerzhaft zur Kenntnis, dass es eine schweigende Mehrheit gab, für die die Anliegen der Protestbewegung absolut fremd waren.

Aber sowohl die Inhalte als auch die Formen des Protests hatten weltweite Beispielswirkungen. Sie waren die Folie, vor der auch in Europa jene Ereignisse abliefen, die man gemeinhin unter der Chiffre „1968“ zusammenfasst. Auch hier rief man „Ho. Ho Ho Chi Minh“ oder protestierte mit einem „Sit In“. Auch hier veränderten sich die Bekleidungsformen und die sexuellen Normen, auch hier ließ man sich nun die Haare wachsen. Aber die nationalen Besonderheiten zeigten doch gravierende Unterschiede, und die Jugend der westeuropäischen Länder hatte durchaus ihre unterschiedlichen Feindbilder und spezifischen Herausforderungen.