Menschen, die aus überfüllten Bussen klettern. Menschen, die sich zwischen großen Zelten in endlosen Schlangen anstellen. Menschen, die in langen Reihen in den Zelten sitzen. Menschen, die unter den kurze Schatten spendenden Bäumen liegen. Menschen, die ein seit 2013 wütender Bürgerkrieg im Südsudan, fortlaufende Hungersnöte und eine überforderte Regierung zu Flüchtlingen gemacht haben. Menschen, die ihrer Heimat beraubt, im benachbarten Uganda auf Hilfe hoffen.

Die meisten kommen über das Imvepi-Camp rund 200 Kilometer südlich der Grenze ins Land. Es wurde im Februar vom UNO-Flüchtlingshilfswerk eröffnet, weil ein erst zwei Monate davor in Betrieb genommenes Lager bereits ausgelastet war.

Es braucht keine Dramatisierung, kein spendenhungriges Hochjazzen der Betroffenheitsrhetorik. Die nackten Zahlen malen ein erschütterndes Bild: Von den elf Millionen Südsudanesen hat fast die Hälfte nicht genug zu essen.

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100.000 seien laut Unicef akut vom Hungertod bedroht, über eine Million Kinder würden an Mangelernährung leiden. „Die Lage ist absolut dramatisch“, warnt Caritas-Helferin Helene Unterguggenberger, die Mitte April im Bundesstaat Eastern Equatoria im Süden des Landes im Einsatz war. Rund 1,6 Millionen sind im Land selbst auf der Flucht, über eine Million in Nachbarländer geflohen – vor allem nach Uganda, zu 80 Prozent Frauen und Kinder.

80 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge sind Frauen und Kinder
80 Prozent der hier ankommenden Flüchtlinge sind Frauen und Kinder © Höfler

Hier treffen die Flüchtlinge auf eines der gastfreundlichsten Aufnahmeländer der Welt. Flüchtlinge dürfen hier arbeiten, eigene Unternehmen führen und bekommen vom Staat Land zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt. 50 mal 50 Meter pro Familie maßen die so vergebenen Grundstücke noch bis vor wenigen Monaten. Mittlerweile wurden sie aufgrund des Massenansturms auf 30 mal 30 Meter redimensioniert. Bis die Familien ihr Stück Land zugeteilt bekommen, müssen sie aber ein akkurates Registrierungsprozedere durchlaufen.
Als Zaungast des Elends begleite ich eine junge Mutter mit ihren beiden Kindern, die gerade von der medizinischen Untersuchung samt Impfen kommt. Vor zwei Wochen hat ihre Flucht begonnen, erzählt sie. Jetzt sitzt das Trio im Registrierungszelt. Persönliche Daten werden hier aufgenommen, Fingerprints abgenommen, Fotos gemacht, eine ID-Card wird ausgestellt. Am Ende der Notversorgungskette steht die Ausgabe von Kanistern zum Wasserholen, Decken, Matten, Planen für den Hüttenbau und Essen.

2000 Neuankömmlinge täglich

Imvepi ist eigentlich für 2000 Flüchtlinge ausgelegt. Aktuell halten sich aber bis zu 7000 hier auf. An Spitzentagen fluteten schon über 12.000 Neuankömmlinge das Areal. Die Registrierung läuft schleppend. Statt 48 Stunden benötigt die Abwicklung durchschnittlich eine Woche. In dieser Zeit stehen den Menschen hangarartige Zelte als Massenquartier zu Verfügung. Ruhe oder ein Zur-Ruhe-Kommen? Gibt es nicht.
Immer wieder fallen dem kleinen Buben am Schoß der Mutter die Augen zu. Auch die Frau wirkt müde. Erschöpft. Die Hitze tut ihr Übriges. Draußen vor dem Zelt grillt die Sonne seit dem frühen Vormittag den Steppenboden. Die Luft flirrt. Die Temperatur hat sich um die 40-Grad-Marke festgekrallt. Eine Gruppe Burschen hält das nicht vom trickreichen Fußballspielen ab. Haken links, Ferserl rechts – und wieder schiebt mir einer den „Ball“ aus zusammengepresstem Plastikabfall durch die Beine. Wir klatschen ab. Ein Wimpernschlag Normalität, wo das Extreme regiert.

Der Zulauf ins Flüchtlingslager ist ungebrochen. 2000 Menschen kommen pro Tag hier an
Der Zulauf ins Flüchtlingslager ist ungebrochen. 2000 Menschen kommen pro Tag hier an © Höfler


 Die individuellen Schicksale hier gleichen sich: Repressionen, Willkür, Gewalt, Flucht – weitere Kapitel einer Chronik der Unfassbarkeit, die ich hier diktiert bekomme. Wobei sich aber immer wieder kleine Kapitel der Hoffnung in die Tragödie mischen: dass der im Südsudan zurückgelassene Mann wie versprochen in drei Monaten nachkommt. Dass die Kinder hier etwas zu essen bekommen, in die Schule gehen können. Dass man vielleicht irgendwann wieder zurückkehren kann – dorthin, wo das, was man Zuhause nennt, dem Furor eines waffenschwangeren Konflikts zwischen rivalisierenden Volksgruppen zum Opfer fiel.
Das Heute speist die Zuversicht der hier Gestrandeten auf ein friedvolles Morgen aber (noch) nicht. Die Kämpfe halten an, der Hunger wird größer, die Not wächst. „Es sieht nicht so aus, als würde es in den nächsten Wochen besser werden“, befürchtet Andreas Waser, der beim ÖRK im Katastrophenmanagement tätig ist.

Größte Flüchtlingssiedlung der Welt

Seit Freitag werben Uganda und die Vereinten Nationen daher im Rahmen einer internationalen Konferenz in Kampala um verstärkte internationale Hilfe. Von den bisher geforderten 624 Millionen sei erst ein Fünftel eingegangen. Uganda benötige für die kommenden vier Jahre zusätzliche 7,2 Milliarden Euro. Die Europäische Union sagte bereits 85 Millionen Euro zu, Österreich will seine Hilfe um zwei Millionen Euro aufstocken. Gesten. Mehr nicht.
Aber Krieg, Flucht und Hilfe sind dennoch ein Wirtschaftsfaktor. Die Flüchtlingskrise bringt temporäre Jobs bei Hilfsorganisationen, Straßen werden ausgebaut, am Rande der Lager schießen nach jeder kurzfristigen Räumung durch die Polizei die Marktstände wieder schnell aus dem Boden. Und auch das grobmaschige Netz aus zugeteilten Grundstücken, auf denen die Flüchtlinge einfache Hütten bauen, verdichtet sich rasch und verschmilzt mit den Orten der einheimischen Bevölkerung recht schnell zu großen Streusiedlungen. So ist Bidi Bidi, bis vor wenigen Monaten ein verschlafenes Bauerndorf im Grenzgebiet, mittlerweile zur größten Flüchtlingssiedlung der Welt angewachsen. 270.000 Menschen leben hier. Unfassbar.