Das Rennrad ist so etwas wie die Antithese zum E-Bike, das schon seit Jahren auf Erfolgskurs ist. Weniger bequem, anspruchsvoller in der Handhabung und ohne die technischen Erleichterungen moderner Fahrräder, erlebt es dennoch einen anhaltenden Aufwärtstrend. Ambitionierte Enthusiasten investieren viel Geld in professionelle Rennräder. Sie tauschen sich im Internet über technische Details, Ausrüstung und Trainingsmethoden aus. Rennrad-Vereine erfreuen sich eines regen Zulaufes, und auf der Straße sieht man sie immer öfter. Das Rennrad hat sich zum Kult- und Statusobjekt entwickelt. Woher kommt die Faszination für die schnellen Räder mit den schmalen Reifen?

„Rennradfahren ist für mich wie bewegte Meditation“, fasst Sonja Werner zusammen. „Einklicken, losfahren, den Kopf ausschalten.“ Für einige Stunden existieren dann nur noch die Straße, der Fahrtwind und das Gefühl der Geschwindigkeit. Sonja Werner und ihr Mann Stephan Werner sind Sporttrainer und Leistungsdiagnostiker und geben Mountainbike- und Rennrad-Kurse in der Steiermark und in Wien. Rennrad-Anfänger können bei ihren Trainings auf der Donauinsel die Grundlagen des Sports lernen. „Wir merken, dass sich seit ein paar Jahren immer mehr Menschen dafür interessieren“, sagt Stephan Werner.

421.000 Fahrräder

Dass die Zahl der Rennräder auf Österreichs Straßen von Jahr zu Jahr wächst, ist nicht nur eine gefühlte Wahrheit. Neben dem E-Bike und dem besonders robusten Gravel Bike gehört das Rennrad zu den am schnellsten wachsenden Segmenten in einem ohnehin boomenden Fahrradmarkt. Im Jahr 2023 wurden österreichweit 421.000 Fahrräder verkauft, was das zweitstärkste Jahr seit den Aufzeichnungen des VSSÖ und der ARGE Fahrrad darstellt – nur übertroffen vom pandemiebedingten Rekordjahr 2022. Der Absatz von Rennrädern stieg dabei um beachtliche 10 Prozent.

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Das Wiener Trainerpaar Stephan und Sonja Werner
Das Wiener Trainerpaar Stephan und Sonja Werner © kk

Angesichts der steigenden Popularität rät das Trainerpaar Sonja und Stephan Werner Neueinsteigern, sich gut vorzubereiten, bevor sie sich aufs Rennrad schwingen. Denn die Unterschiede zu einem Alltagsfahrrad sind vergleichbar mit denen zwischen einem Sportwagen und einem Familienkombi. Die ursprünglich für den Profisport entwickelten Geräte können bei Wettkämpfen Geschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde erreichen. Selbst Freizeitsportler sind, je nach Straßenbedingungen, oft mit 30 bis 50 km/h unterwegs.

Klicken und Kippen

„Das Rennrad ist deutlich stärker auf Geschwindigkeit und Leistung ausgelegt und weniger auf Komfort“, fasst es Stephan Werner zusammen. Die Sitzposition ist wesentlich weiter nach vorne geneigt und damit aerodynamischer. Die Reifen sind besonders schmal und ähnlich wie bei einem Formel 1-Wagen nahezu ohne Profil. Außerdem haben sie einen deutlich höheren Luftdruck, was das Fahrgefühl deutlich härter macht. „Man spürt jede Unebenheit des Bodens viel direkter“, sagt Stephan Werner.

Die ungewohnte Haltung kann vor allem anfangs Rückenprobleme bereiten, daher wird Einsteigern empfohlen, in einer aufrechteren Position zu starten. Eine der größten Herausforderungen für Anfänger sind die Klickpedale. Fortgeschrittene Fahrer tragen spezielle Rennradschuhe, die mit einem Klickverschluss an den Pedalen fixiert werden. „Es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt und das automatisch beherrscht“, erklärt Stephan Werner. „Am Anfang kippt jeder drei bis fünfmal um.“ Das richtige Aufsteigen und Einklicken, ebenso wie die Techniken beim Schalten, Bremsen und Kurvenfahren, sind zentrale Themen der Schulung. Bis sich Anfänger wirklich sicher auf dem Rennrad fühlen, können schon einige Wochen vergehen.

Welche Regeln gelten

„Ein zentraler Aspekt in den Kursen ist auch das Fahren in der Gruppe“, betont Sonja Werner. „Rennradfahren ist ein geselliger Sport.“ Hobbysportler organisieren sich häufig in Vereinen oder machen ihre Trainingsfahrten in der Gruppe. Hier kommen auch die speziellen Regeln im Straßenverkehr zum Tragen. So dürfen Rennradfahrer auch dann auf der Fahrbahn unterwegs sein, wenn ein Radweg daneben verläuft. Gruppen dürfen im Rahmen eines Trainings nebeneinander fahren, solange sie den rechten Fahrstreifen benutzen. Scheinwerfer, Rücklicht, Reflektoren und Klingel müssen nicht angebracht sein, wenn man bei Tageslicht und guter Sicht unterwegs ist. Voraussetzung für diese Ausnahmen ist aber, dass die Fahrt als Trainingsfahrt erkennbar ist – etwa durch das Tragen eines Trikots. Für den Weg ins Büro mit Anzug oder Alltagskleidung gelten dagegen die gleichen Regeln wie für alle anderen Radfahrer.

Von ungewohnten Regeln und der anspruchsvollen Fahrtechnik sollte sich jedenfalls niemand abschrecken lassen, so das Trainerduo Werner. Ebenso wenig wie von den teils hohen Preisen. „Natürlich kann man auch einige tausend Euro in ein Rennrad investieren“, so die Werner. „Aber als Anfänger findet man bereits ab etwa 1500 Euro ein solides Modell.“ Viel entscheidender als die Technik des Fahrrads ist ohnehin die Fahrtechnik des Sportlers. Mit der Zeit und etwas Übung wird das Rennradfahren immer intuitiver. Und irgendwann heißt es nur noch: Einklicken, losfahren und meditieren.