Kinder wollen lernen. „Ab etwa sechs Jahren möchten Kinder verstärkt ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und sich als kompetent erleben“, erklärt Psychotherapeut Robert Riedl, der auf systemische Familientherapie spezialisiert ist. „Ein Kind hat ein starkes Interesse daran, Neues zu lernen und Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, da dies sein Selbstbewusstsein stärkt“, sagt er.

Dennoch läuft der Schulstart nicht immer problemlos ab. „Der erste Schultag ist ein bedeutendes Übergangsritual, das sowohl für das Kind, als auch für die Eltern mit großen Erwartungen und Emotionen verbunden ist“, betont Riedl. Es sei der Beginn eines neuen Lebensabschnitts, in dem das Kind seine bisherige Rolle als Kindergartenkind ablegt und in die Welt des Schulkindes eintritt. Das könne Ängste und Unsicherheiten auslösen, sowohl beim Kind als auch bei den Eltern. „Ein neuer, ungewohnter Tagesablauf, fremde Gesichter und die unbekannte Umgebung der Schule können bei Kindern Stress auslösen, was zu kleineren oder größeren Problemen führen kann“, erläutert Riedl, selbst Vater einer Tochter.

Der Schuleinstieg sei leider oft mit viel zu hohen Erwartungen überladen, was Druck erzeugen kann. Auch allzu ehrgeizige Eltern können den Schuleinstieg versauen. „Wenn Eltern zu hohe Erwartungen an das Kind stellen oder den Erfolg in der Schule überbetonen, kann dies beim Kind zu Stress und Versagensängsten führen.“ Kinder brauchen daher „Unterstützung, Ermutigung und Geduld, um sich in ihrer neuen Rolle als Schüler zurechtzufinden“, führt der Experte aus.

Wichtig sei es, den ersten Schultag als Beginn eines langen Prozesses zu sehen, anstatt ihn mit unrealistisch hohen Erwartungen zu belasten. Der erste Schultag solle als Einstieg in eine neue Lebensphase gesehen werden, die Zeit braucht, um sich zu entwickeln und zu festigen. „Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, besagt schon ein chinesisches Sprichwort.

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Rituale sind wichtig

Aber was tun, wenn das Kind partout nicht zur Schule will? „Es ist wichtig, die Ursachen für diese Ablehnung zu verstehen. In dieser Entwicklungsphase können Ängste und Unsicherheiten eine große Rolle spielen“, sagt Riedl. Eltern sollten versuchen, dem Kind die positiven Aspekte des Schulbesuchs aufzuzeigen, ohne dabei Druck auszuüben. „Ein sanfter, unterstützender Ansatz, der das Kind in seinen Ängsten ernst nimmt, ist in dieser Situation am hilfreichsten.“ Wichtig seien außerdem Rituale: „Sie bieten Sicherheit und Struktur.“ Probate Rituale seien das gemeinsame Packen der Schultasche oder das Verabschieden am Schultor. „Rituale geben dem Kind ein Gefühl von Beständigkeit, das in Zeiten des Wandels besonders wertvoll ist“, betont Riedl.

Die deutsche Tageszeitung „Die Welt“ schrieb kürzlich, dass ein falscher Schulranzen Kinder von Beginn an zu Verlierern stempeln kann. Riedl sieht das entspannter: „Die Wahl der Schultasche sollte nicht überbewertet werden, aber sie kann symbolisch für die Anpassung an die Gruppe und das Zugehörigkeitsgefühl sein.“ In der Entwicklungsphase von sechs bis 12 Jahren „suchen Kinder nach Anerkennung und Akzeptanz durch ihre Peers, den Gleichaltrigen. Eine Schultasche, die als ,falsch‘ wahrgenommen wird, könnte ein Gefühl von Anderssein oder Ausgrenzung verstärken“, erklärt der Psychotherapeut. Es sei daher sinnvoll, das Kind in die Wahl des Schulranzens einzubeziehen, um sicherzustellen, dass es sich damit wohlfühlt und gerne zur Schule geht.

Wie bereitet man einen Taferlklassler also auf den neuen Lebensabschnitt am besten vor? „Das Kind emotional stärken und ihm Sicherheit geben. Eltern können dies tun, indem sie offen über den Schulstart sprechen, dem Kind zuhören und seine Ängste ernst nehmen“, erklärt Robert Riedl. Praktische Vorbereitungen wären „das Kennenlernen der Schule und das Üben des Schulwegs. Wichtig ist, dass Eltern dem Kind vermitteln, dass die Schule ein Ort des Lernens und der Freude ist, und dass sie hinter ihm stehen, egal, welche Herausforderungen auf es zukommen.“

Letztlich stimme auch der Satz: Bevor ein Kind Probleme macht, hat es welche. „Kinder drücken ihre inneren Konflikte und Probleme oft durch ihr Verhalten aus. Es kann sich um Ängste, Überforderung oder Unsicherheiten handeln, die das Kind noch nicht in Worte fassen kann“, erklärt der Psychotherapeut. Es brauche einen behutsamen und verständnisvollen Ansatz, um dem Kind zu helfen, seine Probleme zu bewältigen.

Psychotherapeut Robert Riedl
Psychotherapeut Robert Riedl © Privat