Die Bibel muss ab sofort Bestandteil des Lehrplans sein, ordnete der US-Bundesstaat Oklahoma Ende Juni an. „Sie ist ein unverzichtbarer historischer und kultureller Prüfstein“, lautet die Begründung. „Ohne Grundkenntnisse sind die Schüler nicht in der Lage, die Gründung unserer Nation richtig einzuordnen.“ Oklahoma zählt zum „Bible Belt“, zum „Bibel-Gürtel“, der sich über den Südosten der Vereinigten Staaten legt und in dem sich deutlich mehr Einwohner als gläubig bezeichnen als im Rest des Landes – mit starker Konzentration auf die wörtliche Auslegung der Bibel.

Debatte über Leitkultur

In der Verordnung sieht Theologe und Religionswissenschafter Andreas G. Weiß vorrangig einen „religiösen Kulturkampf“, einen Kampf zwischen traditionell und modern, der sich seit Jahren aufgestaut hat. „Wir kennen Ähnliches in Europa, etwa die Diskussion über Leitkultur oder das christliche Abendland. Da wie dort stehen reale Ängste dahinter, die historischen und politischen Voraussetzungen sind aber völlig unterschiedlich.“

In Europa seien Religionsgemeinschaften bis ins 20. Jahrhundert eher monolithisch in die Gesellschaften eingebunden gewesen. „In den USA gab es hingegen schon in den ersten Kolonien eine große religiöse Vielfalt.“ Viele Siedler waren nämlich aus der alten Heimat geflohen, auch um in der neuen ihre Religion leben zu können. „Ein Beispiel dafür sind die Puritaner, die in England verfolgt wurden und die dann in der Besiedlung Nordamerikas ein göttliches Projekt sahen“, erläutert Weiß. Die USA als „Promised Land“, als Land der Verheißung, als „Gelobtes Land“. Bis heute sei für den Einzelnen entscheidend, welcher Kirche er sich am meisten zugehörig fühle, ein Wechseln zwischen den Kirchen sei deshalb öfter und schneller der Fall. Menschen anzusprechen sei für die Kirchen zentral, da sie sich rein über die Spenden ihrer Mitglieder finanzieren.

Angst vor Rom

Die katholische Kirche nimmt in den USA eine besondere Position ein: Zum einen ging bis in die 1960er-Jahre die Angst um, der Vatikan könne im „Land of the Free“, im „Land der Freien“, Einfluss nehmen. Zum andern ist sie heute mit knapp 25 Prozent eine der stabilsten Kirchen hinsichtlich Mitglieder – auch dank des Zuzugs aus lateinamerikanischen Ländern. Die Ausrichtung der einzelnen Gemeinden geht dabei von sehr liberal bis sehr traditionell.

Neue Bewegungen

An Stärke zugenommen haben zuletzt die pfingstkirchlichen Bewegungen evangelikaler Prägung, in deren Zentrum vor allem die emotionale Komponente und das Glaubenszeugnis des Einzelnen stehen. „Dieses individuelle Element macht auch großteils die Attraktivität dieser Bewegungen aus“, weiß der Religionswissenschafter. „Sie haben damit eine Leerstelle innerhalb der existierenden religiösen Landschaft gefunden.“ Hier verläuft auch die Grenze zu den „Mainline Churches“, den angestammten Kirchen mit protestantischer Ausrichtung, etwa den Methodisten oder Lutheranern. Auch katholischerseits versucht man vielerorts eine klare Trennlinie zu ziehen, etwa durch das Freitagsfasten oder das Sonntagsgebot.

Ein relativ neues Phänomen ist der im 19. Jahrhundert aufkommende Fundamentalismus. Weiß: „Ein Merkmal ist die Ablehnung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.“ Wobei sich sein Einfluss auf die Gesellschaft deutlich verändert hat: „Nach einer Phase der Abschottung absolvierte in den 1950er-Jahren der Prediger Billy Graham zahlreiche öffentlichkeitswirksame Auftritte.“ Er zeichnete die USA als christliche Nation – als Gegenstück zur kommunistischen, atheistischen Sowjetunion.

Das Ende des Kommunismus

Ihr Zerfall zu Beginn der 1990er-Jahre war dann Mitauslöser eines Phänomens, das bis heute andauert: Während in Europa die Zahl der Kirchenmitglieder über Jahrzehnte hinweg langsam abnahm, sorgte die neue politische Weltordnung für einen Säkularisierungsschub: Vor allem in den Städten entlang der West- und Ostküste liegt die Zahl der Kirchenmitglieder teilweise schon unter 50 Prozent.

Die Weltpolitik hat auch auf auf zwei andere Religionsgemeinschaften einen großen Einfluss hinsichtlich ihrer Wahrnehmung gehabt: Während der Islam bis zu den Terroranschlägen von 9/11 kaum wahrgenommen wurde, werden seit damals immer wieder antimuslimische Töne angeschlagen. Und auch das Judentum muss sich seit Beginn des Gaza-Kriegs Kritik gefallen lassen. „Vor allem Studenten kritisieren die Nahost-Politik der USA und ihre Unterstützung für Israel.“

Eines gilt für alle: Das Ende der großen Erzählung vom „promised land“, vom Gelobten Land ist nahe.

Andreas G. Weiß
Andreas G. Weiß © KK/Aschbach