Panta rhei. Alles fließt. Aber wir sind ja nicht in Griechenland, sondern im Friaul. Dennoch: Alles im Fluss. In der Apsis hinter dem Altar der gotischen Chiesa San Giovanni in Tuba rinnt Wasser zwischen Karststeinen, auf denen zartgrüne Pflanzen wachsen. Die Leben spendende Feuchtigkeit tritt vom Timova ein, dem mit zwei Kilometern nur scheinbar kürzesten Fluss der Welt. Denn in Wahrheit schlängelt er sich als Fluss Reka 50 Kilometer überirdisch und 35 Kilometer in zig unterirdischen Verzweigungen aus Slowenien zur italienischen Adria hin. Erst Ende März entdeckten hartnäckige Abenteurer in 300 Metern Tiefe einen weiteren bisher unbekannten Flussabschnitt.

Im verzweigten Hafen von Hafen von Villaggio del Pescatore liegen rund 3000 Boote
Im verzweigten Hafen von Hafen von Villaggio del Pescatore liegen rund 3000 Boote © IMAGO

Wenn man im Urlaub einmal statt Sonnenanbeter lieber ein Unterweltler oder gar der Apokalypse nahe sein will: Die Mündung des Timavo ganz in der Nähe von Villaggio del Pescatore ist ein so magischer wie mythologischer Platz. Dichter der Antike vermuteten am Austritt des Flusses aus dem Karst einen Eintritt zum Hades, zur Unterwelt. Laut Vergil war es der Ort, an dem die Argonauten des Jason und die Gefährten des Aeneas auf ihrer Flucht von Troja gelandet waren. Und hier am Timavo soll der Erzengel mit der Tuba einst die Apokalypse angekündigt haben.

Apropos Sonnenanbeter: Gleich bei Villaggio del Pescatore, knapp an der SS14, findet man eine natürliche Höhle, die Grotta del Mitreo, einen dem Sonnengott Mithras geweihten Kultraum aus römischer Kaiserzeit, mit zwei Theken, einem Altar aus einem Kalksteinblock und ein Relief, das Mithras beim Töten eines Opferstiers darstellt.

Dinosaurier Antonio, stilisiert am Eingang der paläontologischen Grabungsstätte
Dinosaurier Antonio, stilisiert am Eingang der paläontologischen Grabungsstätte © IMAGO

Auf seiner Homepage schreibt der beliebte deutsche Krimiautor Veit Heinichen, der seit Langem ziemlich mittig zwischen Villaggio del Pescatore und Triest in den Karsthängen oberhalb der Küstenstraße daheim ist, wie sein berühmter Kommissar Proteo Laurenti zu seinem Namen kam: „In den unterirdischen Flussläufen des Timavo aber lebt ein kleines weißes Tierchen, ein Grottenolm. Eine hunderttausende Jahre alte Spezies mit dem wissenschaftlichen Namen Proteus Anguinus Laurentii. Die Namensgleichheit mit dem Kommissar ist mehr als eine Metapher: Beide verabscheuen Stress, der eine lebt im Abgrund, der andere (der Kommissar) schürft im Abgrund“.

Der bekannteste Bewohner von Villaggio del Pescatore heißt Antonio. Er ist ein fescher Bursche, 70 Millionen Jahre jung. In einem aufgelassenen Bergwerk am östlichen Ortsrand entdeckten Forscher 1994 das komplette Skelett eines fleischfressenden Tethyshadros insularis, den sie Antonio tauften. Er ist jedoch nicht in der kleinen paläontologischen Grabungsstätte, sondern im Naturhistorischen Museum von Triest in einem eigenen Raum zu bestaunen. Ja, schon die Dinosaurier – wie etwa Bruno, ein weiterer Fossilienfund – wussten, wo es am schönsten ist.

Von der Grabungsstätte kommt man durch ein Waldstück, in dem man sich eher auf einer Alm als am Meer wähnt, in einer rund halbstündigen Wanderung nach Duino. Der allererste Airbnb-Kunde in der Gegend war Rainer Maria Rilke. Der berühmte deutsche Lyriker verbrachte ab 1910 wunderbare Zeiten als Untermieter bei der Familie Torre e Tasso im Schloss Duino, umgeben von nichts als dem Meer und dem Himmel. Dort wurde er zu seinen grandiosen „Duineser Elegien“ inspiriert. Auf dem bezaubernden Sentiero Rilke, dem Rilke-Weg auf den Kalkfelsen hoch über dem nördlichsten Zipfel der Adria, wird das Leben garantiert auch für Besucher zur Poesie. Wie schwärmte doch Rilke in der 7. Elegie von der Gegend? „Hiersein ist herrlich“.

Übrigens: Gustavo war seinerzeit auch bei den Thurn und Taxis. Als Hausdiener allerdings. Aber José Gustavo Martínez, wie der brummbärige Argentinier mit vollem Namen heißt, gehört ja als Kellner seit Ewigkeiten zum Inventar des „Cavalluccio“, der legereren Locanda neben der eleganteren „Dama Bianca“. Dort, am Minimundushafen von Duino, serviert das charmante Original – schon hundert Mal erlebt – keine Spaghetti Scoglio & Co ohne sein typisches „Fantastico!“. Dem Faktotum ist sogar ein eigenes Buch gewidmet.

Wer lieber direkt in Villaggio del Pescatore essen will, ist im „Ristorante Al Pescaturismo“ oder im „Ristorante il Gabbiano da Bruno“ bestens aufgehoben, wo man unter anderem köstliche Granseole (Meeresspinnen) serviert. Oder man geht dem Ortsnamen gemäß am besten gleich selbst in die „Pescheria Deste di Falcomer Alberto“, wo man von Dienstag bis Sonntag fangfrische Gamberi, Sarde oder Orate aus den Vitrinen fischen kann.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich italienisch-stämmige Fischer aus den Küstenregionen Istriens, des Kvarner und aus Dalmatien, die wegen Repressalien aus dem Jugoslawien Titos flüchten mussten oder vertrieben wurden, im damaligen San Marco del Timavo angesiedelt. Erste Barackensiedlungen wichen in dem zum Villaggio del Pescatore gewandelten Dorf später den von rund 200 Fischerfamilien errichteten kleinen, bunten Reihenhäusern. Die Fenster der Dorfkirche San Marco erzählen von dieser traurigen Emigration der Fischer.

In der Apsis hinter dem Altar der gotischen Chiesa San Giovanni in Tuba rinnt Wasser des Timavo
In der Apsis hinter dem Altar der gotischen Chiesa San Giovanni in Tuba rinnt Wasser des Timavo © Helmuth Weichselbraun

Heute ist Villaggio del Pescatore, an dem der mehr als 750 Kilometer lange Alpen-Adria-Trail vom ewigen Eis des Großglockners quer durch Kärntens Berge-Seen-Landschaft über Slowenien und Italien bis zum idyllischen Zielort Muggia bei Triest vorbeiführt, ein kleines Dorf mit großem Hafen für rund 3000 Privatboote, hauptsächlich von Einheimischen. Und leider tuckern höchstens noch ein Dutzend Fischer mit ihren Kähnen hinaus aufs Meer. Aber gerade auch sie wissen, wie alle Italiener: Ein Fisch muss drei Mal schwimmen, im Meer, im Öl und im Wein.