Es ist noch nicht so lange her, dass eine stillende Frau ein Flugzeug verlassen musste, weil sie sich geweigert hatte, ihre Brust zu verdecken. 2006 löste diese Aktion internationalen Protest und öffentliche Still-Aktionen aus. „Brüste sind nicht nur da, um Autos zu verkaufen“, stand etwa auf Schildern der protestierenden Frauen.

In Österreich wurde es als Skandal empfunden, weil Grün-Politikerin Christine Heindl in einer Nationalratssitzung ihr Baby stillte. Es war 1990, und es gab noch viele Männer, die durch die natürlichste Form der Nahrungsaufnahme eines Kindes das Ansehen des Parlaments verletzt sahen. Sogar ein spanisches Kamerateam kam danach angereist und stellte in einer Dokumentation die Frage, weshalb in Österreich so ein Aufhebens gemacht werde, wenn eine Frau ihr Kind öffentlich stille. Denn: Stillen ist das Normalste der Welt, für Milliarden Neugeborener und Kleinkinder ist die Brust seit Menschengedenken Hauptnahrungsquelle.

Die weibliche Brust hat in der Geschichte des Abendlandes nie der Frau selbst, sondern den anderen gehört, den zu stillenden Kindern oder den Männern: „Babys sehen Nahrung. Männer sehen Sex. Ärzte sehen Krankheit. Geschäftsleute sehen Dollarzeichen“, schrieb die amerikanische Kulturwissenschafterin Marilyn Yalom in ihrem Buch „Eine Geschichte der Brust“. Und wie sie dafür kritisiert wurde! Denn es war schließlich lange Zeit durchgängig der männliche Blick, der bestimmte, wozu der Busen in der öffentlichen Wahrnehmung gerade herhalten musste.

Das arbeitete nun auch die Kunsthistorikerin Anja Zimmermann in ihrem neuen Buch „Brust. Geschichte eines politischen Körperteils“ heraus. Bis heute habe sich nämlich gar nicht so viel verändert. Man müsse sich nur in Erinnerung rufen, welche Aufregung Angela Merkel auslöste, als sie 2008 tiefdekolletiert zu einer Aufführung in der Oper in Oslo ging. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ ortete hinter dem „teilblanken Busen Merkels blankes Kalkül“, die „Bild“-Zeitung schrieb: „Politik mal anders“. Und selbst die ehrwürdige „Zeit“ spottete: „Merkel will Großmacht werden.“ Der Busen, so zeigte sich, war auch im dritten Jahrtausend noch politisch und stand im öffentlichen Interesse. Der Busen hat noch immer das Zeug zum Skandal.

Angela Merkel 2008 in der Neuen Oper in Oslo
Angela Merkel 2008 in der Neuen Oper in Oslo © AP

Ende der 1960er-Jahre war der blanke Busen sogar ein Zeichen der Befreiung. Die Münchnerin Uschi Obermair erlangte Kultstatus mit ihrem bloßen Busen, der Femen-Bewegung ist sie bis heute ein Vorbild. Für Kulturkritikerin Anne Hollander sind Brüste die „natürlichen Juwelen“ einer Frau, für den amerikanischen Humoristen Dave Barry hingegen ist der Busen das, was Männer „dumm“ macht. In der westlichen Kultur ist der weibliche Busen der Inbegriff erotischer Schönheit. Heute. Denn die christliche Tradition stellte die entblößte Brust lange Zeit in einen religiösen Kontext. „Maria lactans“, die stillende Maria, spendet mit ihrem mütterlichen Akt symbolisch der gesamten christlichen Gemeinschaft Seelennahrung. 

„Mädchen im Pelz“ von Tizian
„Mädchen im Pelz“ von Tizian © Kunsthistorisches Museum Wien

Auch in Eugene Delacroix Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ , das sich auf die Juli-Revolution von 1830 in Frankreich bezieht, geht eine Frau mit entblößter Brust voran. Ein Abziehbild der Freiheit. Für Victor Hugo war das Gemälde Vorbild für seinen Roman „Les Misérables“: Das Volk von Frankreich stürmt endgültig Barrikaden und Triumphbögen und folgt der mächtigen Göttin der Freiheit. Delacroix malte den Moment der Geschichte, an dem die Kämpfe zwischen Volk und Macht ihren Höhepunkt erreichten.

Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, wie häufig der weiblichen Brust im Laufe der Jahrhunderte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Schon die heute als adipös geltende Venus von Willendorf (ca. 30.000 v. Chr.), in all ihrer Üppigkeit, war ein Symbol der Fruchtbarkeit. 2017 stufte Facebook Fotos der Venus von Willendorf, die eine Nutzerin gepostet hatte, als Pornografie ein und zensierte sie. Es dauerte nicht lange, bis sich das Unternehmen entschuldigte und erklärte, dass man mit Figuren und Statuen eine Ausnahme mache.

Botticellis „Venus“
Botticellis „Venus“ © IMAGO/Zoonar

Interessantes sprachliches Detail: Während man Im deutschsprachigen Raum wenig lieblich von der Brust-„Warze“- spricht, was auf einen Beschluss der Deutschen Anatomischen Gesellschaft zurückgeht, spricht man in Frankreich zärtlich von dem was ist, von der Spitze der Brust, bout de sein.

Marianne Vlaschits „The Deluge“  und Maria Lassnigs „Traum vom Idealbusen“ in der Kunsthalle Wien
Marianne Vlaschits „The Deluge“ und Maria Lassnigs „Traum vom Idealbusen“ in der Kunsthalle Wien © Apollonia Theresa Bitzan/Kunsthalle Wien

In der Kunsthalle in Wien wird aktuell ein kunsthistorischer Blick auf die Brust geworfen. „Darker, Lighter, Puffy, Flat“ (dunkler, heller, runder, flach) heißt die aktuelle Schau. Und so vielfältig wie die Formen und Farben der Brüste und bout de sein sind, so unterschiedlich sind auch die Zugänge zu dieser Ausstellung. Mehr als 60 Werke von 30 Künstlerinnen und Künstlern sind zu sehen, darunter sind auch Maria Lassnigs Selbstporträt „Traum vom Idealbusen“ oder ein Video von Valie Export (aber nicht ihr Tapp- und Tastkino). Brüste, vor allem von Frauen, in allen Variationen.

In Zeiten von „Nipple Ban“ auf Social-Media-Kanälen wie Facebook hat der zur Schau gestellte Busen schon wieder etwas Subversives. Notiz am Rande: Noch 1934 wurden in den USA vier Männer festgenommen, weil sie in Coney Island oben ohne am Strand lagen.