Brillantengrund heißt die Gegend, weil die Betreiber der Textilmanufakturen hier im 18. Jahrhundert steinreich wurden, indem sie ihre Arbeiter ausbeuteten. Noch heute gibt es hier im Siebenten das „Hotel am Brillantengrund“ in der Bandgasse, einst Ort der Bandlkramer. Und es gibt die Seidengasse. Hier lebt und arbeitet Susanne Bisovsky, eine der außergewöhnlichsten Modemacherinnen unserer Zeit, die sich von Trends nicht irritieren und lieber von der Welt inspirieren lässt. Ihr Credo: Mehr ist mehr. Ihr Thema: eine „Everlasting Collection“, Mode, die immer währt.

In der Beletage, im 1. Stock einer ehemaligen Seidenmanufaktur, hält sie ihren 204 Quadratmeter großen Modesalon, der aus der Zeit gefallen scheint: farbsatte Kleider mit bauschigen Petticoats, schwarzer Tüll über slawisch bunten Röcken, mehrfach überarbeitete Stoffe, kroatische Schürzen zu Nadelstreifsakkos, Häkelblumen auf Korsetts, Kostüme à la Frida Kahlo, Rosenmotive für schlichte Wintermäntel in A-Form.

Die Welt der Susanne Bisovsky ist bunt, schrill, schräg und schön. „Wiener Chic“, so nennt die österreichische Designerin, die ihr Kopftuch stets wie einen Turban trägt, ihren Stil. Es ist höchste Schneiderkunst, also Haute Couture, aber diese Vokabeln würden besser zu Paris passen, sagt sie.

Bisovskys Salon sieht aus, als befinde man sich auf dem Filmset von Tim Burton. „Charlie und die Schokoladenfabrik“ verblasst allerdings gegen dieses kunterbunte Setting. Da werden farbreich bestickte und schmal taillierte Kleider von innen beleuchtet und fungieren plötzlich als Lampen, dort stehen Dutzende Häkelblumen, zu einem Strauß gebündelt, in einer dänisch-blauen Vase. Hüte hängen wie Bilder an der Wand, darunter stapeln sich Hutschachteln, dazwischen locken atemberaubende Netzstrümpfe an Kleiderpuppen, sogar mit Preisschild: „60 Euro“. Da liegt ein edler Federkragen, dort steht eine kitschig-goldene Vase mit roter Rose aus Plastik.

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„Das hier ist Mariazell!“, sagt Joseph Bonwit Gerger augenzwinkernd später in der Küche. Er schenkt frischen Tee in alte Tassen ein. Heiligenbildchen auf der Kredenz. Seit einem Vierteljahrhundert ist der Schuhmacher beruflich wie privat Susanne Bisovskys Partner: „Wir sind ein gutes Team.“

Die Küche ist ein Albtraum für Puristen, ein einziger Flohmarkt-Fundus. Überall Rosenmotive, auch auf den Fliesen. Ein besticktes Deckerl da, ein Deckerl dort, Metalldosen, die wie eine Ahnengalerie an der Wand hängen. Kein Wunder, dass sich hier die New Yorker Stilikone Iris Apfel, mittlerweile 102 Jahre alt, sehr wohlfühlte.

Bis vor drei Jahren wurde hier in der Beletage gelebt, gekocht, gearbeitet, dann wurde es doch zu eng,

Bisovsky und Gerger siedelten privat einen Stock höher. „Less is more“ gelte aber auch dort nicht: „Wir haben einfach so viele Dinge“, sagt die gebürtige Linzerin, die an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien die Meisterklasse für Mode absolvierte.

Ihre Lehrer waren Marc Bohan, Jean-Charles de Castelbajac, Helmut Lang, Vivienne Westwood. 1990 gründete sie ihr Label.

2010 entwarf Susanne Bisovsky die Uniformen für das Personal des Österreichpavillons der Expo Shanghai, 2025 bei der Expo in Osaka soll sie wieder aktiv werden.

Die Modemacherin arbeitete für Sportalm, Gössl, Helmut Lang und Kathleen Madden, war als Kostümbildnerin bei den Salzburger Festspielen engagiert, in der Wiener Staatsoper und in der Mailänder Scala. Im Februar hat sie die Ausstattung für eine internationale Filmproduktion mit Wien im Fokus, aber darüber darf sie noch nicht sprechen. Dabei steckt sie momentan, auf dem Höhepunkt der Ballsaison, ohnehin bis oben hin in Arbeit. Auch auf dem Wiener Opernball, heuer am 8. Februar, kommen ihre Kleider Jahr für Jahr zum Tragen.

2015 war es noch Opernball-Organisatorin Desiree Treichl-Stürgkh, die ein Kleid von Bisovsky auf dem Ball der Bälle trug. Und sie stattete auch die Tänzerinnen und Tänzer des Neujahrskonzert-Balletts 2024 aus.

„Es läuft seit geraumer Zeit wirklich gut“, sagt die 55-Jährige, die mit ihren zwei Schneiderinnen nicht nur Haute Couture schafft, sondern auch Kleider von der Stange von 60 bis 600 Euro. Als sie sich in ihrem prachtvollen Salon umsieht, sagt sie fast verlegen: „Ich habe das Gefühl, jetzt ist die Zeit der Ernte.“

Ein Marien-Winkel im Atelier
Ein Marien-Winkel im Atelier © privat
Blick in den Salon
Blick in den Salon © Wolfgang Pohn
Bestickt und handgenäht
Bestickt und handgenäht © Bernd Preiml
Wiener Chic
Wiener Chic © Wolfgang Zajc
Raus aus dem Schmuddeleck: Strümpfe aus Latex
Raus aus dem Schmuddeleck: Strümpfe aus Latex © Wolfgang Pohn
Gut behütet
Gut behütet © Bernd Preiml
Rosenmotiv auf den Küchenfliesen, Dosen an den Wänden
Rosenmotiv auf den Küchenfliesen, Dosen an den Wänden © privat