Ein eisiger Wind lässt die Nasenspitze kalt werden. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich mühevoll ihren Weg durch die Nebelschicht bahnen, bringen nicht die erhoffte Wärme. Doch beim Gang über die Karlsbrücke sind sowieso andere Dinge wichtiger als persönliche Befindlichkeiten. Spannender sind die 30 imposanten Heiligenstatuen, die auf dem steinernen Brückengeländer Spalier stehen und auf die neugierigen Besucher herabblicken. Wenn man den Blick schweifen lässt, wird er von der Moldau magisch angezogen. Breit und majestätisch liegt sie einem hier zu Füßen. Dieser Anblick lädt zum Verweilen, Nachdenken und Fotografieren ein. Hier treffen sich Verliebte zum ersten Kuss, während Touristen die Stadtpläne wälzen und von der Größe der Stadt eingenommen werden. „Prag ist geheimnisvoll. Wenn die Stadt einen einmal in ihren Bann gezogen hat, kommt man nur schwer wieder von ihr los“, erklärt Reiseführerin Bozena Hrdlicková mit einem Augenzwinkern.
Nur wenige Schritte von der Karlsbrücke entfernt befindet sich das Klementinum im ersten Prager Bezirk. Unscheinbar erstreckt sich das einstige Jesuitenkolleg auf rund zwei Hektar Fläche. Doch im Inneren des jahrhundertealten Gemäuers befinden sich wahre Schätze.
Um in den astronomischen Turm zu gelangen, führt der Weg vorbei an der Spiegelkapelle bis zu einer schmalen eisernen Wendeltreppe. Es geht hinauf, vorbei an der barocken Bibliothek mit den historisch wertvollen Globen, bis man nach Atem ringend im Turm angekommen ist. Schon 1775 wurden hier oben die ersten meteorologischen Messungen durchgeführt. Schmale, knarrende Holzstiegen führen immer weiter in schwindelerregende Höhe, bis man schlussendlich auf dem Balkon angekommen ist. Ein einmaliger Blick über Prag lässt so hoch über dem Boden das Herz ein wenig schneller schlagen. Die glänzenden Kuppeln der Kirchen und die vielen Türmchen geben der sogenannten „Goldenen Stadt“ eine unmittelbare Mystik, die man am Boden keineswegs vermutet hätte.
Ratsam für die Besichtigung des Turms, aber auch für den Spaziergang durch die Stadt ist gutes Schuhwerk, denn mit Pfennigabsätzen oder offenen Sandalen kommt man in Prag nicht weit. „Überall wurde Kopfsteinplaster verlegt. Mal mit größeren Steinen, mal mit sehr kleinen. Flache Schuhe sind also unbedingt einzupacken“, erklärt Hrdlicková, während ihre Schritte auf den feuchten Steinen im Innenhof des Klementinums zu hören sind.
Die Liebe der Prager zur Mystik und zur Magie wird aber erst bei der anbrechenden Dämmerung richtig greifbar. Die alten schmiedeeisernen Straßenlaternen hüllen die Stadt in ein sanftes Licht und geben gerade den Winkeln und Ecken einen besonderen Reiz. „Mein persönlicher Tipp ist ein Stadtrundgang mit einem ,geheimnisvollen‘ Guide“, erklärt Yvette Polasek, Direktorin der tschechischen Zentrale für Tourismus. Und tatsächlich.
Am Anenské nám, dem Annaplatz, südlich des Klementinums, wartet eine hagere Gestalt, die in einen mittelalterlich anmutenden Mantel gehüllt und hält ein schwarzes, beledertes Buch in ihren Händen. Mit einem angedeuteten Kopfnicken begrüßt der „Alchemist“, wie er sich selbst nennet, die Besucher und geht los. Er führt die Gruppe durch schmale Gassen, die man sonst wohl nur durch Zufall passieren würde. In einer abgeschiedenen Ecke beginnt der Alchemist die Geschichte eines Wassermannes aus der Moldau zu erzählen. Dann plötzlich tritt das Fabelwesen leibhaftig aus einer dunklen Ecke hervor und fesselt seine Zuhörer mit dem Leid und der Liebe seiner Schwiegertochter.
Für Romantiker hat Prag, die Stadt der vielen Türme, viel zu bieten. Um sich einem Spaziergang aufzuwärmen, ist das Café im Karlsbrücke-Museum genau das Richtige. „Nur hier gibt es unsere Spezialität – das Nepomuk-Elixier. Es soll ewige Gesundheit spenden und die Lebensgeister wecken“, schmunzelt Lucie Turnerová, gießt sich ein kleines Gläschen des bräunlichen, hochprozentigen Getränks ein und trinkt es auf einmal aus. „Der Geschmack ist einmalig. Aber um die Stadt aus einer anderen Perspektive zu sehen, muss man eine Bootstour durch das Prager Venedig machen“, sagt Turnerová und geht eine Treppe unter der Karlsbrücke hinunter. Dort warten kleine schwarze Boote, die den Personenschiffen aus dem 19. Jahrhundert nachempfunden sind. Matrosen in gestreifen Anzügen weisen den Fahrgästen ihre Plätze zu, fachen das Feuer im Holzofen an Bord an und versorgen die Gäste bei klirrender Kälte mit schmackhaftem Lebkuchen und heißem Tee. Dann kann es losgehen.
Das Boot fährt entlang der Karlsbrücke und gibt den Blick auf die Prager Burg frei. Das Wasser der Moldau glitzert in der Sonne und die Fenster beginnen leicht zu beschlagen. Unzählige Schwäne sich auf dem Fluss niedergelassen und genießen die wärmenden Strahlen. Das Boot fährt zum gegenüberliegenden Moldauufer und biegt in den kleinen Kanal, das „Venedig“, ein. „Hier dürfen nur geübte Kapitäne fahren“, sagt Yvette Polasek und beißt herzhaft ein Stück von ihrem Lebkuchen ab. Diese Stadt steckt eben voller Geheimnisse.
Martina Pachernegg