In einem Schweinestall nahe der Hengstpass-Bundesstraße am Rande des Nationalparks Kalkalpen: Draußen herrscht nasskaltes Sauwetter. Drinnen stößt die Sau gegen das Holz ihres Stallabteils und buhlt um die Aufmerksamkeit unangekündigter Besucher. Doch die liegt ganz bei Nationalpark-Ranger Roman Paumann, der mit einer Gruppe Unterschlupf gefunden hat. An diesem Tag stünde eigentlich eine vierstündige Wanderung auf den Spuren des im Nationalpark heimischen Luchses an. Muss die Wanderung wetterbedingt platzen?

20 Minuten später. In einer nahen Almhütte empfängt Hüttenwirt Herbert die Wandersleute mit Regenhose, Regenjacke und Schirm sowie einem breiten Schmunzler. „Wollt’s es net draußen sitzen?“, lacht er. Danke, aber der Plan B des Nationalpark-Rangers soll doch lieber in der Stube verwirklicht werden, die durch den Stromausfall gleich noch uriger wirkt.

Maskiert oder mit Abstand nähern sich die Gäste dann den sechs Kalkalpen-Luchsen – auf eindrucksvollen Bildern und Videos der Wildkameras, bevor eine (vermeintliche) Regenpause die Urlauber doch noch in die freie Wildbahn wandern lässt.

Während die wilden Katzen gesucht (und nicht erblickt) werden, soll für die Urlaubenden der Region rund um den Nationalpark ein anderes Naturphänomen möglichst ausgeschlossen werden: das Coronavirus. Und indirekt führt das auch uns für einige Tage in die Gegend am Pyhrnpass. Denn 16 Tourismusbetriebe der Region haben sich unter dem Motto „Pyhrn-Priel schafft Freiräume“ erweiterte Schutzmaßnahmen auferlegt, um den Gästen mehr Sicherheit zu bieten. Lässt sich das mit unbeschwertem Urlaubsgefühl verbinden? Wir sind neugierig.

2018 wurde der Schiederweiher zum schönsten Platz Österreichs gekürt
2018 wurde der Schiederweiher zum schönsten Platz Österreichs gekürt © Kuhelnik

Auf dem Weg zum ersten Frühstück im Hotel Explorer in Hinterstoder zwinkern die Fahrräder neben der Rezeption den Bikern schon zu: Sie kennen die schönsten Abstecher auf der Strecke bis zum Almgasthof Baumschlagerreith wohl schon – das Naturjuwel Schiederweiher (schönster Platz Österreichs 2018) und den Ursprung der glasklaren Steyr, neben der die Radstrecke entlangführt. Doch davor zählt erst einmal nur die Route zum Kaffee am Frühstücksbuffet. Und der schmeckt auch mit desinfizierten Händen und gerade abgelegten Mund-Nasen-Schutz und Handschuhen nach Urlaub.

Gerade in den letzten Wochen sei es den meisten Gästen nicht schwergefallen, sich auch auf die Schutzmaßnahmen im Haus einzulassen, erzählt die Team-Managerin des Hotels, Heike Baumgartner. Ein Coronafall soll tunlichst vermieden werden, denn: „Wir wollen ja auch unsere Jobs behalten.“

Beim Ursprung der Steyr vereinen sich im Wald sieben kleine Quellen zu einem Fluss
Beim Ursprung der Steyr vereinen sich im Wald sieben kleine Quellen zu einem Fluss © Kuhelnik

Und für die Gäste springt neben mehr Sicherheit auch einiges heraus: Wer möchte, bekommt sein Essen aufs Zimmer oder per Picknickkorb. Die Stornobedingungen sind großzügig, eingecheckt werden kann von zu Hause aus und das Hotel wird nicht voll belegt, um Platz zu gewährleisten und wenn möglich Zimmer gar einen Tag zum Auslüften freizuhalten. Das Ergebnis der Bemühungen: „Wir sind völlig überrascht, es ist für uns ein Bombensommer“, so Baumgartner.

Nachmittag: Tausche Radlhose gegen Wanderschuhe. Mit der Pyhrn-Priel-Card (diese Vorteilskarte bekommt man bei Übernachtung in der Region kostenlos dazu) geht es neben der Hannes-Trinkl-Strecke des Skigebiets auf der Höss-Panoramastraße mautfrei hinauf. Von dort kommt man ebenso kostenfrei mit dem Sechser-Sessellift weiter. Diesmal wird trocken gewandert, und zwar zu zwei Ausblickstürmen, die an diesem wolkigen Tag bis zur Rückseite des Grimmings blicken lassen, an anderen bis zum Dachstein.

Mit der Riesenschaukel saust man zwischen den Baumkronen hindruch
Mit der Riesenschaukel saust man zwischen den Baumkronen hindruch © Kuhelnik

„I schwitz mi g’scheit an“, sagt Manfred Angerer und macht aus seiner Gefühlslage zur heurigen Saison kein Geheimnis. Er hat sich vor vielen Jahren mit seinem Abenteuercamp „Abenteuer Management“ in Spital am Pyhrn selbstständig gemacht und wurde von Corona hart getroffen. Nach Monaten Pause lädt er erstmals wieder auf sein zwei Hektar großes Gelände, auf dem er mit Hochseilgarten, Riesenschaukel, einer Zipline und vielem mehr aus Gruppen oder Schulklassen voller Einzelkämpfer Teams formen will. Wie man sich vor zu viel Nähe schützt, will er dann mit den Lehrern passgenau abstimmen. Platz sei jedenfalls genug.

Und das wird einem selbst bewusst, wenn man plötzlich in sechs Meter Höhe auf einer Riesenschaukel zwischen den Baumkronen fliegt. Corona ist plötzlich ganz weit weg.

Alpenbilderbuchkulisse am Gleinkersee
Alpenbilderbuchkulisse am Gleinkersee © TVB PHYRN-PRIEL

Neuer Abend, neue Unterkunft. Auch im Hotel „Freunde der Natur“ in Spital am Pyhrn wird Sicherheit großgeschrieben. Freundlichkeit sowieso. Viele der 21 Mitarbeiter sind seit 20, 30 oder sogar 40 Jahren im Betrieb. Niemand von ihnen wurde gekündigt, auch wenn die sonst so zahlreichen Seminargäste fehlen. Dafür kämen neben treuen Stammgästen viele neue, die noch nie in der Region oder im Haus waren. Vielleicht ist das die große Chance für die Zukunft? Zukunftsfit machte sich das Hotel bereits 2018, mit großen Renovierungsarbeiten. Gleich bei der Einfahrt fällt an der Fassade eine große Kletterwand auf. „Rauf?“ – „Lieber nicht!“

Ein bisserl Übung hätte nicht geschadet, bevor man am nächsten Tag ohne große Vorstellungen zum Canyoning des Betreibers „Naturesports“ in Hinterstoder aufbricht. Dabei könnte man sich unter der deutschen Übersetzung „Schluchting“ schon durchaus einen Hauch mehr vorstellen als eine Wanderung in Neopren-Wäsche durch einen kleinen Wildbach. Dazu werden nämlich auch vom Wasser geschliffene Steine zu Rutschen, Wasserfälle zu Abseilstellen und Klippen zu Sprungtürmen ins Nass. Vom Abstandhalten und von sicheren Grenzen war in den letzten Wochen viel die Rede. Plötzlich verknüpft sich das Wort Abstand automatisch mit der Differenz zwischen Wasserfall oben und Wasserfall unten. Die eigenen Grenzen werden neu gezogen.

Der Steig durch die Dr.-Vogelgesang-Klamm
Der Steig durch die Dr.-Vogelgesang-Klamm © Kuhelnik

„Einfach nach hinten fallen lassen und dann mit der ganzen Sohle nach unten steigen.“ Klingt einfach, wenn’s Canyoning-Guide Friedl nach dem Sichern sagt. Klingt schwer, wenn es dahinter meterweit runtergeht und das Bächlein von den starken Regenfällen der letzten Nächte ohrenbetäubend rauscht. Klingt euphorisierend, wenn man es tatsächlich geschafft hat und bis über beide Ohren grinst. Klingt suchtfördernd, wenn man am nächsten Tag in der Dr.-Vogelgesang-Klamm jeden Wasserfall mit Kennerblick auf seine Abseiltauglichkeit überprüft.

Wer die versprochenen Freiräume der Region sucht, muss dennoch nicht zwingend allein im Wasserfall hängen. Es lässt sich auch gemütlich mit dem Elektroboot auf dem weitläufigen Klauser Stausee tuckern oder mit dem Stand-up-Paddle vor Alpenbilderbuchkulisse am Gleinkersee das Gleichgewicht trainieren.

Übrigens: Der Schutz vor Corona machte die Urlaubsstimmung nicht zunichte. Der Sonnenbrand auch nicht.

Mehr zum Thema