Egal, ob man seinen Ausflug von der „Alpenstadt des Jahres“ Tolmezzo im Norden oder der Schinkenmetropole San Daniele im Süden startet, das Val d’Arzino und das weiter westlich parallel verlaufende Val Tramontina sind, bis auf wenige bezaubernde Orte, Wildnis pur. Und am schönsten im Herbst.

Gleich vorweg: Eine Karte lesen zu können ist hier Pflicht. In den schmalen Schluchten, die die „Macchia“ (Buschwald) durchziehen, ist das Navi nicht immer ein verlässlicher Begleiter. Als „Basislager“ für die „Entdeckung der Wildnis“ empfiehlt sich beispielsweise „Da Renzo“ in San Francesco. Hier kann man nicht nur übernachten, die von den Brüdern Davide und Isacco Tosoni betriebene „Bar-Albergho-Ristorante-Tabbachi-Alimentari“-Kombination versorgt den Reisenden auch mit der entsprechenden Verpflegung und Informationen für ausgedehnte Exkursionen. Und die „Expeditionen“ können lang werden in diesem „vergessenen Land“.

Die Bäche und Flüsse, die den Grund der ungezählten Täler und Schluchten bilden, sind rein und zumeist grün
Die Bäche und Flüsse, die den Grund der ungezählten Täler und Schluchten bilden, sind rein und zumeist grün © Nicola Simeoni/stock.adobe.com (Nicola Simeoni)

Für eine erste Übersicht empfiehlt es sich, die Landschaft zwischen „la“ und „qua“ – also „hier“ und „dort“ – mit dem Auto zu erkunden. Wer schon auf den Landstraßen das Abenteuer sucht, sollte öffentliche Busverbindungen benutzen. Es gibt viel zu sehen, wirklich „los“ in unserem Sinne ist aber nirgendwo etwas.

Das nutzten in Pradis schon die Menschen der Jungsteinzeit. Darüber informiert ein kleines Museum in Pradis di Sopra. Von dort aus führt ein kurzer Fußweg, vorbei an dem Marienheiligtum der „Grünen Grotte“ und über zahllose Stufen, direkt in eine atemberaubende „Unterwelt“. Noch lange bleibt das Rauschen des Wildbaches am Grunde der Schlucht in den Ohren der Besucher hängen. Man hat das Gefühl, aus dem „Bauch der Erde“ zurückzukehren.

Erdgeschichtlich ebenso interessant ist ein Besuch der Gegend rund um die Sella Chiampon zwischen Pozzis und Ampezzo. Felswände und ein geologischer Lehrpfad erzählen die Geschichte der vor Jahrmillionen stattgefundenen Auffaltung des Kontinents. Während die Reise im Museum von Ampezzo 400 Millionen Jahre zurück in die Erdgeschichte führt, kommt man im kleinen Motorradmuseum von „Cocco“ in Pozzis wieder zurück in die Gegenwart.

Der idyllische Stausee Lago di Selva erinnert an einen Fjord
Der idyllische Stausee Lago di Selva erinnert an einen Fjord © Hans und Christa Ede/stock.adobe.com (Eder Christa)

Und so geht es weiter mit den Sehenswürdigkeiten: Das Schloss Ceconi bei Vito d’Asio, der „Art Park“ in Verzegnis, die Bildhauerarbeiten auf der „Sella Chianzutan“ sind allesamt gute Einstiege vor dem Aufbruch in die Wildnis.

Und diese beginnt links und rechts, direkt am Rande der kleinen Straßen, die die Macchia durchziehen. Sie führt auf den Spuren des jungen Erwin Rommel, der hier im Ersten Weltkrieg auf österreichisch-ungarischer Seite unterwegs war.

Sie führt aber auch zu den verlassenen Dörfern rund um das Tramontina-Tal. Manche von ihnen, wie Sghittosa, Sclaf oder Pàlcoda, entdeckt man erst auf den letzten Metern. Dazwischen einige wenige markierte Wanderwege, aber viele Jahrhunderte alte Maultierpfade. Man spürt beim Gehen förmlich die Lasten, die von Tieren und Menschen hier getragen wurden.

Die „Pozze Smeraldine“ sind nicht nur bei Einheimischen beliebt
Die „Pozze Smeraldine“ sind nicht nur bei Einheimischen beliebt © Nicola Simeoni/stock.adobe.com (Nicola Simeoni)

Die vergessenen Dörfer und Landschaften haben ihre Vorzüge: Die Bäche und Flüsse, die den Grund der ungezählten Täler und Schluchten bilden, sind klar und rein und zumeist grün. Und in Tramonti di Sopra, am Rande des Naturparks Friulanische Dolomiten, hat der Fluss Meduna etliche fantastische kleine „Schwimmbecken“ – die „Pozze Smeraldine“ – ausgeformt, die nicht nur bei den Einheimischen beliebt sind.

Ein Stück weiter flussabwärts wird die Meduna zum Stausee Lago dei Tramonti. Mit etwas Glück taucht bei Niedrigwasser das alte, versunkene Dorf inmitten des Sees auf. An einen norwegischen Fjord erinnert der zweite Stausee, der Lago di Selva, in der Nähe. Es gibt vieles in der „Wildnis“ zu entdecken.

Schlussbemerkung: Man begreift schnell, dass hier bei einem Besuch alles langsamer wird, dass der Begriff „Zeit“ eine völlig neue Bedeutung bekommt. Alles, selbst das Autofahren, muss sich daran gewöhnen. Wenn man keine Zeit hat, um im Gasthaus auf eine frische Polenta zu warten, dann ist man hier fehl am Platz.

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