Inti ist groß und mächtig. Der Himmel über Quito ist wolkenverhangen, aber der Sonnengott der Inka strahlt mit solcher Kraft, dass man eine Sonnenbrille braucht, um nicht geblendet zu sein. „Wir stehen jetzt auf einem Brötchen“, sagt Vibeka und hat plötzlich die volle Aufmerksamkeit. Kein Holpern im perfekten Deutsch der Reiseleiterin, vielmehr der offizielle Name des Hügels „El Panecillo“, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Hauptstadt Ecuadors hat.

Sie ist die zweithöchstgelegene der Welt (2850 m), liegt nahe am Äquator, wo Nord- und Südhalbkugel aufeinandertreffen, und ist von Vulkanen – aktiven und erloschenen – regelrecht umzingelt. Als hätte jemand eine Kiste mit pastellfarbenen Legosteinen umgeworfen, sind die Siedlungen scheinbar zufällig auf deren Flanken gewürfelt. Sie reichen fast bis zu den Rockzipfeln der 45 Meter hohen Madonnenstatue aus Aluminium, die auf dem Panecillo steht.

Die bunte Altstadt von Quito hingegen ist ein Schaulaufen kolonialer Architektur der spanischen Eroberer. Und ein Reliquienschrein. Auf den Ruinen des niedergebrannten Palasts des letzten Inka-Herrschers Atahualpa errichteten die Konquistadoren die Basilika und das Kloster San Francisco. Die Iberer importierten den maurischen Mudéjarstil nach Lateinamerika, der Überschwang europäischen Barocks scheint grenzenlos, aber in all der Pracht versteckt sich auch Intis Sonnenscheibe. „Da ist sogar Pacha Mama“, sagt Vibeka und zeigt auf die Schnitzerei einer Frau, der symbolischen Mutter Erde an der Kanzel in der wahrlich gottvollen Jesuitenkirche von Quito. Rund 90 Prozent der Ecuadorianer sind Christen, aber mit Pacha Mama verscherzt man es sich bis heute nicht.

Ein paar Meter weiter bildet der Präsidentenpalast eine Seite der viereckigen Plaza Grande. Wer dort einzieht, entscheidet sich in der Stichwahl am 15. Oktober. Wichtig ist Vibeka vor allem der Kampf gegen die Korruption, die das Land lähmt: „Ecuador ist reich an Ressourcen, aber der Reichtum versickert.“

Vibeka kostet sich mit ihren Gästen durch Ecuador: in diesem Fall Mistelas, mit Likör gefüllte Zuckerl
Vibeka kostet sich mit ihren Gästen durch Ecuador: in diesem Fall Mistelas, mit Likör gefüllte Zuckerl © KK

Durch das Hochland

Die Luft wird dünn. Der Cotopaxi (5897 m) hat seinen Gipfel in dichte Dampfschwaden gehüllt. Wozu der Vulkan imstande ist, wenn er Lava speit, zeigen eindrucksvoll tiefe Gräben, die sie ins Hochland gefressen hat. 1802 versuchte der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt als erster Europäer, den für die Indigenen heiligen Berg zu bezwingen, schaffte es aber nicht. Attestierte aber dennoch, der Cotopaxi sei „an Schönheit und Regelmäßigkeit der Kegelform unübertrefflich“.

Ganz wunderbar kann man sich also mit seinem Anblick begnügen, während man die Limpiopungo-Lagune umrundet, durch die gerade eine Herde von Wildpferden zieht. Am Rand des Pfads wandelt Vibeka auf Humboldts Spuren, der nach seiner Ecuador-Reise die Pflanzengeografie der Erde begründete, und erklärt die Artenvielfalt im Hochland der Anden. Sie kennt jedes Gewächs beim Namen und erklärt, wofür man es verwenden kann. Woher sie das alles weiß? „Meine Großmutter war eine Indígena“, sagt sie stolz.

Ecuador ist ein Land vieler Ethnien, ein Großteil der 17,8 Millionen Einwohner hat indigene Wurzeln. In Otavalo erkennt man die Kichwa an ihren traditionellen Trachten. Auf dem bunten Markt Plaza de los Ponchos wird jede Andenfantasie aus Alpakawolle wahr. Und ihre Musik haben viele schon in europäischen Fußgängerzonen gehört, denn es sind vor allem die Otavalos, die das volkstümliche Liedgut der Anden noch pflegen.

Auch José Luis Pichamba war mit seiner nicht minder musikalischen Familie in der ganzen Welt auf Tour. „Sogar in Japan!“, erzählt er, während er aus dünnen Bam busstäben kleine Panflöten bastelt. Ohne ein Ständchen lässt man uns nicht ziehen.

In den Nebelwald

Der Nebelwald macht seinem Namen alle Ehre. In der kleinen gelben Gondel saust man über das dunkelgrüne Blätterdach, mitten durch die feuchten, silbrigen Schwaden. Das Naturschutzgebiet bei Mindo zählt zu den artenreichsten Regionen der Welt. Alleine 500 Vogelarten hat man hier bislang registriert. Aber deren Stimmen übertönt inzwischen der Regen, der unablässig auf die von Flechten und Bromelien gekaperten Bäume niederprasselt.

Vibeka teilt wasserfeste Ponchos aus, die Wanderung zum Wasserfall „La Reina“ lässt man sich von so ein bisschen Regen nicht nehmen. Unterdessen rauscht es im ganzen Wald nur so von Rinnsalen, die sich den Weg ins Tal bahnen und rasch anschwellen, aber diese Kaskade ist tatsächlich die Königin in diesem Revier. Das Tosen ist ohrenbetäubend. „Kannst du Pacha Mama spüren?“, ruft Vibeka. Die Kraft der Natur, sie dringt bis in die letzte Faser des klatschnassen Körpers.

Inti lässt sich wieder zu uns herab, lässt Mensch und Natur trocknen. Kaum ist das Prasseln des Regens verklungen, liegt ein seltsames, lautes Brummen in der Luft. Es kommt von winzigen, blitzschnell herumschwirrenden, schillernden Punkten, die sich an den Blüten der Orchideen gütlich tun. Ob denn der Fernseher erfunden worden wäre, könnte man überall wie in Mindo Geschwader von Kolibris beobachten? Die Stunden, sie surren nur so vorbei.

Auf die Galapagosinseln

Den Klang der Anden noch in den Ohren – irgendjemand singt immer „El cóndor pasa“, das man traditionell übrigens nicht mit der Panflöte intoniert –, findet man sich in einer kargen Ödnis wieder. Baumhohe Opuntiakakteen, zu bizarren Skulpturen erstarrte Lava, am Horizont der lieblich türkise, aber donnernd grollende Pazifik. Durch die Isolation von Galapagos im Pazifik sind auf den 13 von Vulkanen ausgespieenen Inseln einzigartige Ökosysteme entstanden.

Als der britische Naturforscher Charles Darwin am 18. September 1835 mit der HMS Beagle vor San Cristóbal – einer der fünf bewohnten Inseln – anlegte, ahnte er das Ausmaß seiner Entdeckungen nicht. Erst viele Jahre später inspirierten ihn die nahe verwandten, aber doch unterschiedlichen Arten von Finken dazu, seine weltberühmte Theorie der Evolution zu formulieren. Heute tragen sie seinen Namen.

Durchdeklinieren lässt sich die Theorie auch anhand der Riesenschildkröten, die sich auf den Inseln unterschiedlich entwickelt haben. Eine Begegnung mit diesen gemächlichen Giganten im grünen Hinterland der Insel Santa Cruz hat etwas Archaisches, als würde man ein paar Erdzeitalter zurückspulen. Möglichst viele Arten der bedrohten Schildkröten, die Panzerlängen von mehr als 1,30 Meter und Alter von deutlich über 100 Jahren erreichen können, zu erhalten, zu vermehren und wieder auszuwildern, ist die Aufgabe der Forschungsstationen auf den Inseln.

Dass sie dort hinter meterhohen Gittern ihrem gemächlichen Tagwerk nachgehen, liegt nicht etwa an ihren unvermuteten Sprung- oder Kletterkünsten. Vielmehr sind die noch handlichen Jungtiere begehrtes Diebesgut für Wildtierhändler: „2018 wurden 123 Babys von der Insel Isabela gestohlen“, erzählt Edwin Alba.

Er begleitet die Gruppe wie ein freundlicher und kompetent Auskunft gebender Schatten, denn betreten darf man den Nationalpark, der 97 Prozent der Fläche der Galapagosinseln schützt, ohne Ranger nicht. Die Tiere hier haben vor dem Menschen keine Scheu – auch wenn sie angebracht wäre. „Auf sozialen Medien sind Videos aufgetaucht, in denen Touristen auf den Panzern der Riesenschildkröten sitzen“, erzählt Edwin kopfschüttelnd. Ganze Inseln oder Bereiche darauf sind für Menschen – abgesehen von Forschern – völlig tabu. „Deshalb werde ich nie die rosaroten Leguane sehen, die nur auf dem Vulkan Wolf leben“, seufzt er. „Aber es muss sein.“

Dafür sind deren Verwandte – die Land- und Meerechsen – omnipräsent. Die kleinen Drachen trifft man am Flughafen auf Baltra genauso wie auf dem kilometerlangen, gleißend weißen Strand der Tortuga Bay auf Santa Cruz und mit besonders hoher Zuverlässigkeit auf dem Fischmarkt in Puerto Ayora, dem geschäftigen Hauptort der Insel. Weder sie noch die Seelöwen oder die Pelikane lassen sich von den Urlaubern im geschäftigen Küstenort beim Abstauben der Reste des frischen Fangs stören.

Diese Momente des Es-nicht-fassen-Könnens sind stets so nahe, wie es am Äquator die Sonnencreme sein sollte. Brütende Blaufußtölpel, über den Köpfen kreisen Fregattvögel mit ihrem imponierenden roten Kehlsack, Weißspitzen-Riffhaie, Seelöwen und Wasserschildkröten tummeln sich einträchtig in einem wassergefüllten Lavakrater. Nur die Pinguine, die zieren sich.

Die Einzigartigkeit der Inseln mit ihren vielen endemischen Arten zu bewahren und das gleichzeitig durch Tourismus zu finanzieren – jeden Tag aufs Neue eine Gratwanderung. „Die Regierung hat die Zahl der Hotels, der Flüge und Boote zu den Galapagosinseln begrenzt. So kommen wir im Jahr auf 200.000 bis 300.000 Touristen“, erklärt der Ranger. Ob das zu viel ist? „Wer kann das wissen?“ Das Ökosystem einfach sich selbst zu überlassen, ist jedenfalls keine Option: Zu viele fremde Tiere und Pflanzen wurden durch Siedler bereits eingeschleppt, die nun mühevoll wieder zurückgedrängt werden müssen.

Ein guter Teil der Urlauber auf den Galapagosinseln taucht unter. Sind sie doch eines der spannendsten Unterwasserreviere der Welt, denn der nährstoffreiche Humboldtstrom aus der Antarktis bringt in seinem Sog ein Meer an Artenvielfalt an die Küsten. Bereit für ein Date mit einem Hammerhai?