Kaum unter dem quietschgelben Dach Platz genommen, drückt der Fahrer aufs Gas. Augenblicklich heult das Tuk Tuk auf und quetscht sich vom Straßenrand auf die überfüllte Fahrbahn. Der Aufschrei der Gäste geht in lautem Hupen unter. Eine Wolke von Abgasen strömt in die Nasenlöcher und reizt für einen Moment die Atemwege.

Gefahrenstelle rote Ampel

Eine Tuk-Tuk-Fahrt durch Ahmedabad, die sieben Millionen Einwohner zählende Hauptstadt von Gujarat, ist nichts für schwache Nerven. Sie ist Chaos pur. An roten Ampeln bleibt aus Prinzip kein Verkehrsteilnehmer stehen - es sei denn, die Kreuzung ist mehrspurig und stark befahren. „Eine rote Ampel heißt einfach nur aufpassen“, erklärt Reiseführer Umakant Dubey und schmunzelt.

Gut, dass der erste Zwischenstopp naht: die schlichte Sidi-Saiyyed-Moschee. Die Fenstergitter aus Sandstein, die die muslimische Gebetsstätte zieren, fallen sofort auf. Denn das Tageslicht, das die Motive verschnörkelter Pflanzen ins Innere lässt, zeichnet gespenstische Muster in den Stein. Dass ein Inder sein Gebiss ausspuckt und im Teich der Moschee wäscht, lässt uns aber doch schnell weiterziehen. Der Kontrast zwischen dem grellbunten Swaminarayan-Tempel und der Moschee ist riesig. Das Farbspektrum eines Regenbogens zieht sich durch die gewaltige Anlage. Hindus sitzen auf Bänken und Fliesen - eine erhabene Kulisse.

Armut am Straßenrand

Zurück auf der Straße, tauchen wir wieder ein in den Lärm, der uns Richtung Altstadt begleitet. Das hohe Tempo lässt nur Momentschärfen vom Straßenrand frei: Einheimische, die am Gehsteig vor gespannten Planen sitzen. Es sind ihre notdürftigen Schlafstellen. Schon rauscht das Tuk Tuk weiter.

Im Zentrum läuft es sich besser zu Fuß. Vor der alten Stadtmauer reihen sich vormittags die verwaisten Buden eines Marktes. „Am Abend sind hier so viele Men schen, dass man nur die Köpfe sieht“, schildert Dubey. Dann regieren hier die Sinne, wenn indische Gewürze oder Spezialitäten wie Chai-Tee die Luft erobern.

In Nebengassen sperren die Märkte hingegen nie zu, es ist immer was los. Straßenhunde schlüpfen bei den Einheimischen vorbei, die über die holprigen Sandstraßen stapfen. Ein süßlicher Duft hängt zwischen den Häusern - Gujarat ist bekannt für seine süßen Speisen: frittiertes Linsenmehl oder runde, süße Bällchen aus Kichererbsenmehl stapeln sich in Schüsseln bei den Ständen am Straßenrand. Hier und da bleiben die Inder stehen, plaudern, leeren dampfenden Masala-Chai aus Espressotassen.

Für all jene, die keine Naschkatzen sind, wird überall Thali serviert: scharf zubereite Erdäpfel, Spinat, Kichererbsen oder Linsen in kleinen Schälchen, zu denen Reis und das Fladenbrot Naan gereicht werden. Thali brennt zwar ordentlich im Magen, garantiert aber eine wahre Geschmacksexplosion.

Zebu-Rinder als Geisterfahrer

Vorbei an der Jama-Masjid-Freitagsmoschee, in der rund 8000 Menschen Platz finden, rast das Tuk Tuk weiter durch die Metropole. Dass Zebu-Rinder mittlerweile aus den größeren Städten verbannt wurden - was für ein Glück. Auf Autobahnen kann es nämlich vorkommen, dass eine Herde zum Gegenverkehr wird.

Gujarat: Das ist Indiens unbekannter Bundesstaat

Der letzte Stopp ist eine schlichte Anlage im Norden. Dort hat Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi, der in einem Dorf nahe Ahmedabad aufgewachsen ist, gelebt. „Mahatma heißt ,große Seele'“, sagt Dubey. Heute ist die Anlage ein spiritueller Ashram zum Meditieren, der Straßenlärm ist weggefegt. Der Ort rückt den Irrsinn der Metropole zur Seite, entschleunigt inmitten des pulsierenden Chaos. Da vergisst man sogar die Todesangst im Tuk Tuk.