Herrenhäuser und Schlösser thronen zwischen prächtigen Gärten, abseits der Pfade tummeln sich Schafe auf Weiden voller strahlend gelber Ginsterbüsche. Ein magisches Bild, aber Irland ohne Klippen? Das geht. Auch wenn die Küsten der grünen Insel imponieren, hat das Landesinnere, dessen Schönheit von vielen nur im Vorbeifahren wahrgenommen wird, einiges zu bieten. Touristiker tun recht daran, dem Image der sogenannten Midlands einen neuen Anstrich zu verpassen und als "Hidden Heartlands" – das versteckte Herz des Landes – zu bewerben.

Zur Einstimmung auf eine gehörige Portion Natur beginnt unsere Reise mit einem Spaziergang durch den Park, der das Belvedere House umgibt, ein Herrenhaus am See der Grafschaft Westmeath. Auf den Waldwegen baut sich unübersehbar eine hohe Steinmauer auf. Unsere Führerin erklärt, dass sich hinter dem Idyll eine Geschichte voll Eifersucht und Verrat verbirgt. Hausbesitzer und Graf Robert Rochford sperrte seine Frau mehr als 30 Jahre weg, weil er sie verdächtigte, eine Affäre mit seinem Bruder zu haben. Die hohe Mauer ließ er als Sichtschutz bauen, weil ein anderer, ebenso ungeliebter Bruder ein größeres Herrenhaus in Sichtweite errichtete. Heute stiftet die sogenannte "Jealous Wall" wenigstens als Wahrzeichen der Gegend Sinn.

Von wegen toter Fleck im Landesinneren

Für Bierbrauer Liam Tutty bleiben die Midlands trotz touristischen Potenzials ein toter Fleck im Inneren des Landes. So zumindest der Name seines Lokals mit Bierbrauerei in Athlone. Der ehemalige Radiosprecher ist froh, als er unsere Bestellung entgegennimmt und wir zu seiner Abwechslung kein Guinnes bestellen. Warum auch, anders als etliche Biersorten wird es nicht im Zimmer nebenan gebraut. Bar und die "Dead Centre Brewery" sind nur durch eine Glaswand getrennt, die Gäste können bei der Produktion zusehen, während sie an ihren Getränken nippen.

Athlone liegt am Shannon River und ist ein Paradies für Nachtschwärmer
Athlone liegt am Shannon River und ist ein Paradies für Nachtschwärmer © Faite Ireland

Etwas mehr als 21.300 Einwohner zählt die Stadt Athlone. Dem Anschein nach ist jeder einzelne von ihnen Nachtschwärmer, so viel wie nach Sonnenuntergang los ist. Sean's Bar, die älteste des Landes, ist längst kein Geheimtipp mehr. Wer kein Gedränge mag, sollte sich für das zweite Glas Whiskey in ein anderes der vielen Pubs im Ortszentrum begeben. Hinter fast jeder bunten Hausfassade wird mit Gitarren, Flöten, Geigen und Dudelsack irische Folkmusik aufgespielt. "Molly Malone" ist auch außerhalb Dublins ein Hit, für amerikanische Touristen stimmen die Musiker "Country Roads" an.

Mit dem Wikingerschiff auf Fluss Shannon unterwegs

Apropos Landstraßen. Wer sich nicht an den Linksverkehr in Irland gewöhnen will, kann die Insel genauso mit dem Boot erkunden. Und sich etwa auf dem Fluss Shannon, der mit seiner Länge von 370 Kilometern durch das halbe Land fließt, mit dem Wikingerschiff zur mittelalterlichen Klostersiedlung Clonmacnoise fahren lassen. Ironischerweise, denn Wikinger überfielen und plünderten das Kloster im Laufe der Geschichte mehrmals. Heute sind von den hiesigen Gebäuden nur noch Gemäuer übrig.

Die Klostersiedlung Clonmacnoise ist mit alten Grabplatten übersät
Die Klostersiedlung Clonmacnoise ist mit alten Grabplatten übersät © Faite Ireland

Spektakulär ist auch der Anblick des Schlosses Birr, rund um das Anwesen beeindrucken großzügig angelegte Gärten und ein riesiges Spiegelteleskop, das 1845 gebaut und von Wissenschaftlern und etwa zur Kartierung des Mondes eingesetzt wurde.

"Wild Food Mary" ist eine gute Seele, die sich auch mit Pilzen auskennt
"Wild Food Mary" ist eine gute Seele, die sich auch mit Pilzen auskennt © Faite Ireland

Im beschaulichen Dorf Clareen nahe der Stadt Birr lohnt sich ein Besuch bei "Wild Food Mary", eine sympathisch-verrückte Dame, die zu jedem Gewächs den Namen und Verwendungszweck weiß – oder ob man besser die Finger davon lassen sollte. Im Garten neben ihrem kleinen Haus wachsen Pilze und Heilpflanzen, die Besucher verkosten dürfen. Die Natur ist ihr Kapital und davon gibt es in Irland reichlich. Das Potenzial des versteckten Herzens des Landes ist also noch lange nicht ausgeschöpft.