Während sich die einen nach dem Abendessen im Warmen verkriechen, packen sich die anderen noch einmal dick ein und gehen zum Strand. Denn erst, wenn es an der Ostsee so richtig finster wird und die stürmische See allerlei Dinge an Land spült, herrschen ideale Bedingungen für Schatzsucher.
Einer von ihnen ist Axel Kramer, Naturführer in Grömitz, und leidenschaftlicher Bernsteinsammler. Als Küstenkind hat er mit fünf Jahren seinen ersten Bernstein entdeckt. Seither lassen ihn die warmen, weichen Schmucksteine, die vor Millionen Jahren aus Harz entstanden sind, nicht mehr los. „Am Tag brauchst du Instinkt, um einen Bernstein zu finden. In der Nacht nur Schwarzlicht, geht ganz easy-peasy“, sagt er und knipst das violette Licht an.
Bernstein im Schwarzlicht
Schon leuchtet der Bernstein gelb am Boden. Freilich ist das nicht alles, was im Sand verlockend funkelt: Algen, Plastikteilchen, Steine, Muschelschalen. Es braucht eine Weile, bis das Auge das Gold der Ostsee erkennt. Aber der innere Indiana Jones erwacht sofort.
Mit der Schwarzlichtlampe in der Hand geht es den Strand entlang, ohne dass es eine Sekunde langweilig wird. Und am Ende landet sogar ein zwei Zentimeter großer Bernstein in der Tasche. „Die Ruhe und das Nichts sind so wertvoll“, weiß Kramer. Die leeren Strände und die wenigen Menschen im Winter sind der beruhigende Gegenpart zum quirligen Badetreiben im Sommer. Im Gegensatz zur Nordsee ist hier das Meer immer da, das heißt, als Binnenmeer ist die Ostsee zu klein, um vom Mond beeinflusst zu werden, daher gibt es auch keine Gezeiten.
Seebäder und Schlösser
1803 kam im Ostseebad Boltenhagen der erste hochherrschaftliche Badekarren zum Einsatz. Kurende Gäste aus dem Adel wurden hinaus ins kniehohe Wasser gezogen, wo sie sich meerseitig im Karren entkleideten und nackt badeten. Seeluft, Küstenwald, Steilküste – noch heute ist Boltenhagen ein staatlich anerkanntes Seeheilbad mit Kurpark, zwei Promenaden, Seebrücke, einem malerischen Fischerhafen, kleinen Läden und Cafés.
Nur ein paar Kilometer von der Küste entfernt liegt das Schloss Bothmer. Mit sieben Hektar ist die barocke Gartenanlage die Größte in Mecklenburg-Vorpommern. Der Garten ist umsäumt von einem Wassergraben und hat viele Alleen, was typisch für die Gegend ist. Eine sticht besonders ins Auge: Die 270 Meter lange Fastonallee aus holländischen Linden, deren Äste sich kunstvoll zu einer Linie verbinden und ein beliebtes Fotomotiv sind.
Silberschatz im Schlossgarten
Das Schloss selbst wurde von Graf Hans Caspar von Bothmer ab 1726 errichtet. Der Gutsherr, erster Berater des englischen Königshauses und lebte in London in der Downing Street 10. Jahrhunderte später, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, flüchtete die Familie in den Westen und ließ das Tafelsilber im Garten vergraben. Lang galt der Silberschatz als vergessen und verloren. „Aber bei Renovierungsarbeiten im Garten stieß man vor rund zehn Jahren auf die Metallkisten mit Silber und konnte es der Familie zuordnen“, erzählt Joachim Clausen, Reiseführer in Boltenhagen.
Es soll nicht der einzige verborgene Schatz in der Region bleiben. Schlossgut Gross Schwansee, direkt an der einstigen innerdeutschen Grenze, war selbst für Einheimische lange Zeit ein Sperrgebiet. Viele Fischer zogen in dieser Zeit weg, weil sie keinen Zugang zum Meer hatten. Die Gebäude waren Ruinen und der Barockgarten längst ein Wald. Aber das hatte auch etwas Gutes: Die Natur entlang der Küste blieb hier, wie sie war.
Vom Luxus zur Ruine - und retour
Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Schloss aus dem Dornröschenschlaf geholt und in ein modernes Hotel verwandelt. Der alte Pferdestall beherbergt heute in ein Restaurant mit kleinem Sauna- und Wellnessbereich. In herrschaftlicher Manier wird im Winter Tea Time mit Scones zelebriert. Bis an den Strand sind es nur ein paar Minuten durch den Park. Dort tanzt die Gischt mit den Schneeflocken im Sand.
Spätabends am Weg zurück ins Hotel. Wieder ist es stockdunkel. Ein letztes Mal stapfen die Füße durch den Sand ins dunkle Nichts. Nur die 398 Meter lange Seebrücke in Grömitz ist beleuchtet. Unter den Holzbrettern rauschen die Wellen. Selbst als nichts zu sehen ist, ist die Weite spürbar. Der Wind bläst die Gedanken hinaus aufs Meer und der Kopf fühlt sich ein Stückchen freier an.
Anita Arneitz