Plattenbauten und aufgelassene Tankstellen säumen die Straße auf dem Weg ins Stadtzentrum von Kutaissi. Klassischen Schönheitsidealen entspricht Georgien nicht, so zumindest der erste Eindruck. Zwei Kühe queren den Weg. Am Straßenrand verkaufen Omas Honig und Schnaps. Ein Auto überholt rechts – scheinbar ohne Menschen am Steuer. Auf den zweiten Blick erspäht man jemanden auf dem vermeintlichen Beifahrersitz. Ah, Lenkräder auf beiden Seiten also – mehr muss man über den Verkehr in Georgien nicht wissen. Ein Auto zu mieten, sei an dieser Stelle nur geübten Fahrern empfohlen.

Mit knapp 150.000 Einwohnern ist Kutaissi die drittgrößte Stadt Georgiens. Das Zentrum ist mit einigen Lokalen, einem Markt und dem Brunnen mit Bronzefiguren schnell besichtigt. Hat man sich erst einmal an den postkommunistischen Charme gewöhnt, ist Kutaissi ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung. Etwa zu den benachbarten Klöstern Motsameta und Gelati. Eis gibt es hier zwar keines, dafür einen sagenhaften Ausblick über das umliegende Tal und die sanft abfallenden Ausläufer des Kaukasus.

Auch nach Zqaltubo ist es nicht weit und wer auf Urban Exploring steht, also das Erkunden von verlassenen Gebäuden, ist hier goldrichtig. Das Iveria Sanatorium ist eines von rund 20 verlassenen Hotels des Kurorts, deren einstiger Glanz sich heute nur mehr erahnen lässt. An den Wänden Graffiti, das Mobiliar aus den einst prunkvollen Räumen längst geplündert. Fenster und Türen gibt es nicht mehr, der Wind pfeift durch das verfallene Gebäude.

Zu Sowjetzeiten reisten Tausende Kurgäste aus allen Ecken der UdSSR an, um in den radonhaltigen Quellen zu baden. Unter ihnen auch Josef Stalin. Zqaltubo war der bevorzugte Urlaubsort des Diktators, der selbst gebürtiger Georgier war. Das ehemalige Sanatorium des Verteidigungsministeriums wurde als einziges Kurhotel teilweise restauriert und ist heute wieder in Betrieb. Wenn man an der Rezeption um den Schlüssel bittet, kann man Stalins private Suite besichtigen, die bis heute unberührt geblieben ist. Eine Lampe, ein Teebecher und eine blaue Vase mit rosa Stoffrosen stehen auf dem Schreibtisch des Diktators.

Der Kolchis-Brunnen in Kutaissi
Der Kolchis-Brunnen in Kutaissi © Jan/stock.adobe.com (Jan Nedbal)

Zqaltubo spiegelt mit seinem idyllischen Verfall die jüngere Geschichte Georgiens wider. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieben die Gäste aus und der einst noble Kurort wurde zur Geisterstadt. 1993 besetzten Tausende Flüchtlinge aus der konfliktgebeutelten Region Abchasien die Sanatorien. Viele von ihnen leben bis heute hier. Mittlerweile sind manche der Anlagen abgesperrt, sie wurden von Investoren gekauft. Aber noch träumt Zqaltubo in seinem Dornröschenschlaf.

Ein starker Kontrast zum sowjetischen Erbe ist Batumi. Nur 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, liegt die zweitgrößte Stadt Georgiens am Schwarzen Meer und steht wie kein anderer Ort für das Aufstreben des kleinen Landes. Die hypermoderne Skyline lässt kurz vergessen, dass große Teile der georgischen Bevölkerung in ärmlichen Verhältnissen leben.

Ein Investitionsboom hat in der Hafenstadt Luxushotels und Casinos aus dem Boden schießen lassen, die den historischen Stadtkern in den Schatten stellen. Grelle Lichter und Skulpturen säumen die neu gestaltete Strandpromenade. Glücksspiel, Meer und das subtropische Klima locken vor allem arabische, russische und türkische Touristen. Apropos subtropisch – Platzregen sind hier im Sommer abendliche Begleiter.

Aber auch Einheimische trifft man in Cafés am Stadtstrand. „Seid ihr aus Deutschland?“ Nein, aus Österreich. Wenn jemand Englisch spricht, ist das – vor allem außerhalb der Städte – die erfreuliche Ausnahme. Umso überraschender ein Deutschkönner. Was folgt, ist die berühmte georgische Gastfreundschaft. Und die tischt einem unweigerlich die besten typisch georgischen Teigtaschen, Chinkali, und die Chatschapuri-Käsepizzen auf. Und unbedingt sollte man georgischen Wein probieren! Schließlich gilt das Land, was viele nicht wissen, als die Wiege des Weinbaus. Und falls die Küche irgendwann zu deftig wird? „Geht in Tiflis ins Stamba Hotel. Direkt daneben ist auch das Frühstückslokal Lolita. Das kann richtig etwas!“

Die fantastischen  Chinkali werden immer frisch gedreht
Die fantastischen Chinkali werden immer frisch gedreht © golubovy/stock.adobe.com

Tiflis, wo mit einer Million Einwohnern gut ein Viertel der Gesamtbevölkerung Georgiens lebt, ist jünger, westlicher und hipper als der Rest des Landes. Auf einem Transparent vor dem Parlament steht „20 Prozent Georgiens sind von Russland besetzt“. Der Konflikt mit Russland ist für die Georgier allgegenwärtig. „Russland geht allen auf die Nerven“, sagt Vunsal. Er ist Tourguide in Tiflis und finanziert sich so sein Studium der Politikwissenschaften.

Und trotzdem ist Russland auch nach dem Ende der Sowjetunion nach wie vor der wichtigste Handelspartner des ehemaligen Satellitenstaats. Sanktionen etwa bei Weinexport oder Flugverbindungen treffen das kleine Land hart. Ein Grund mehr, warum sich Georgien aus der eisernen Hand der großen Schwester zu winden versucht und sich in Richtung Europa orientiert. Investitionen in den Tourismus, Infrastruktur und Sicherheit bezeugen das.

Dawit Garedscha ist das älteste Kloster Georgiens
Dawit Garedscha ist das älteste Kloster Georgiens © Mikhail/stock.adobe.com (Mikhail Goldenkov)

Verlässt man Tiflis gen Osten und biegt nach 50 Kilometern rechts ab, taucht nach zweistündiger Fahrt Udabno in der kargen Landschaft auf. Udabno bedeutet „unwirtliches, unbewohnbares Land“. Was für ein passender Name für diesen kleinen Ort. Viele Menschen wohnen hier tatsächlich nicht. Aber dafür liegt eine angenehme Entspanntheit über dem Dorf. Spätestens jetzt hat man die quirlige Hauptstadt hinter sich gelassen. Willkommen in Kachetien im Südosten, willkommen in der Halbwüste.

Eine einzige Straße führt aus Udabno hinaus. Acht Kilometer sind es von hier bis zur aserbaidschanischen Grenze, weitere sieben entlang der Grenze bis zum ältesten Kloster Georgiens, Dawit Garedscha. Von den ehemals 13 ist heute nur mehr Lavra vollständig erhalten und wird von einer kleinen Gemeinschaft von Ordensbrüdern belebt. Die Anlage fügt sich mit ihren Höhlen in die Hügel der Steppe, ein Mönch in schwarzer Kutte gießt den Rasen.

Die Ruinen der übrigen Klöster dämmern teils auf georgischem, teils auf aserbaidschanischem Gebiet dahin. Bis heute gibt es hier Zuständigkeitskonflikte zwischen den beiden Ländern. Aus dem Nichts tauchen drei Grenzsoldaten auf, sie patrouillieren auf dem Gelände. In der einen Hand ein Jausenbrot, in der anderen das Maschinengewehr. In Georgien sind selbst die vermeintlich touristischen Pfade erfrischend untouristisch.

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