"Weißt Du, welcher Tag heut' ist?", frage ich. Maxi lächelt: "Freitag?". "Ist gut möglich", sage ich. Und sie: "Oder vielleicht doch Mittwoch? Donnerstag?" Das Meer vor unserer Nase rauscht friedlich vor sich hin, die letzten Sonnenstrahlen fallen durch die Autoscheibe. Wir schlüpfen unter unsere Decke und schließen kurz die Augen. Tag 75 unserer Reise neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu. "Oder haben wir schon Nummer 80?", frage ich.

Zeit spielt keine Rolle. Seit unserer Abfahrt leben Maxi und ich in einer anderen Welt. Zeit spielt hier keine Rolle. Wir teilen die Wochen nicht in Tage ein, die Tage nicht in Stunden und Minuten. Wer dem heimischen Alltagstrott den Rücken kehrt und rund 100 Tage mit dem Auto in Europa unterwegs ist, richtet sich nach anderen Faktoren. Etwa: Wann gehen wir heute schlafen? Wann schwimmen? Biken? Laufen? Einkaufen? Und wo wollen wir das tun? Ganz oben stehen aber auch zwei andere Fragen: An welchem Strand, in welchem Ort gibt es saubere Duschen und Toiletten? Und wo lässt es sich günstig leben?

Surferstrand. Um unser Budget nicht zu strapazieren, haben wir ein Einkaufslimit von 30 Euro eingeführt - es darf nur in gewissen Fällen überschritten werden. Ein exklusives Mittagessen ist zum Beispiel nicht erlaubt - mit der Sonderregelung ist es, zugegeben, manchmal machbar. Für einen Surfkurs, wie er etwa in Carrapateira an der Westalgarve angeboten wird, gilt die Regel ebenfalls. "Relax!", fordert dort Surflehrer Carlos von uns und den anderen Schülern. Und wir werden dabei täglich besser.

Im "Liege-Wagen". Weniger entspannt war hingegen der Auftakt unserer Reise. Mit einem vollbepackten Ford Escort Kombi halten wir um 2 Uhr früh im deutschen Heimsheim, um die erste Nacht im "Liege-Wagen" zu verbringen. Die Sitze werden nach vorne geklappt, die Matratze aufgerollt, die Vorhänge geschlossen und das Gepäck auf die Vordersitze geräumt. Rund zehn Minuten dauert die Aktivierung des fahrenden Hotels - in diesem Fall zehn Minuten zu viel.

Schloss und Riegel. Die Kleinstadt Heimsheim ist nämlich nicht nur bekannt für ihre Schlossfestspiele, sondern auch für Schloss und Riegel, sprich: ihre Justizanstalt. Und genau vor deren Mauern stehen wir gerade. Also, alles wieder zurück, hinauf und hinein. Und das nächste Mal ein bisserl besser schauen, merken wir uns.

Hallo, Wachmann! In Blanquefort nahe Bordeaux schauen wir ganz genau und übernachten vor einem kleinen Rathaus. Maxi und ich schlafen tief und fest, die Polizei des Ortes aber nicht. Wir werden in die Wachstube gebeten und erhalten - merci beaucoup! - Kuchen und Kaffee. Der glückliche Umstand, dass die Sekretärin des Reviers gerade einen Deutschkurs macht, kommt uns sehr entgegen. Und Chantal sollte uns nicht das letzte Mal behilflich sein.

Muschelessen bei Chantal. Bereits zwölf Stunden später stehen wir wieder im kleinen Polizeirevier. Diesmal sind wir satt, aber etwas angefressen. Das Etappenziel der Tour de France im Stadtzentrum von Bordeaux motivierte nicht nur Radler, sondern auch Ganoven zu Höhenflügen. Und so fehlen jetzt aus unserem Auto T-Shirts, Hosen, Jacken und die zweite Kamera. Zum Glück ist alles gut versichert und Chantal wieder zur Stelle. Mit ihr geht's von der Polizei zur Gendarmerie und wegen der kaputten Tür zum Mechaniker. Dass uns Chantal jetzt auch noch zum Muschelessen in das Haus ihres Ex-Mannes einlädt, ist uns fast schon peinlich. Aber ihr Kommentar ist schlicht und klar: "Absagen verboten!"

"Relax". Vom Gipfel der Gastfreundschaft führt die Reise weiter in die Berge Nordspaniens nach Carranza, auf den wohl einsamsten Campingplatz der Welt. Nachdem wir auch dort neue Leute kennenlernen – zwei Rocker, die gleichzeitig die Pächter sind – geht es über Santiago de Compostela nach Portugal. Wir pilgern wie viele andere in die Portwein-Probierstuben, fahren wie wenig andere ins Hinterland um Geres und landen bei Carlos in Carrapateira. Sein erstes Wort kennen Sie wahrscheinlich schon: "Relax". Seinen Abschiedsgruß jetzt auch.

Rückkehr. Über die Cote d'Azur, Portofino und Romgeht es nach L'Aquila. In der Abruzzen-Stadt steigen Maxi und ich noch schnell auf den 2498 Meter hohen Monte Aquila, um uns das nahe Meer einmal von einer völlig anderen Perspektive anzuschauen. Na ja, ganz so schnell war es dann auch nicht – dafür war der Blick ein Traum. Ein guter Zeitpunkt, unsere Reise zu beenden und nach Österreich zurückzukehren. Mittwoch? Freitag? Sonntag? Wann wir schließlich angekommen sind? Das ist jetzt nicht wichtig! Entscheidend ist das Wie – und zwar erholt, mit neuer Kraft und vielen neuen Ideen, sicherlich auch für den nächsten Urlaub. Und das Beste: Wir sind glücklich – mehr denn je.