Neben dem riesigen China wirkt Taiwan auf der Weltkarte winzig wie ein Brotbrösel. Dennoch ist es wirtschaftlich eine Macht und gehört zu den 20 größten Handelsnationen. Längst produziert man heute keine Massenware mehr. Made in Taiwan steht heute für Hightech. In einem Dutzend Science-Parks, die dem Silicon Valley in Kalifornien nicht nachstehen, werden intelligente Produkte entwickelt und produziert. Und das mit Erfolg. So gibt es auf der ganzen Welt kaum Laptops oder Notebooks ohne wesentliche Bauteile aus Taiwan.

Ein Symbol für den Glauben der Taiwanesen an Fortschritt und Machbarkeit ist der 101-Tower in der Hauptstadt Taipeh, das mit 508 Metern Höhe zweithöchste Bauwerk der Welt, das Taifunen mit mindestens 200 km/h Geschwindigkeit und Erdbeben der Stärke sieben bis acht standhalten soll.

Sieben Nationalparks

Von der Aussichtsplattform des 101 hat man nicht nur einen beeindruckenden Blick auf die Stadt, sondern auch auf üppig grüne Berge, die erahnen lassen, dass die Ilha Formosa, die wunderschöne Insel, ihren Namen zu Recht trägt. Denn Taiwan hat den - noch raren - Touristen aus Europa viel zu bieten. Zum Beispiel sieben Nationalparks mit atemberaubenden Gebirgs- und Küstenlandschaften, mit bis zu 4000 Meter hohen, schneebedeckten Bergen, mit subtropischer Natur, heißen Quellen und Bilderbuchstränden am Pazifik. Dazu gibt es eine schier unglaubliche kulinarische Vielfalt, da in Taiwan nach der Niederlage der national-chinesischen Armee von General Chiang Kai-shek im Bürgerkrieg 1949 gegen Maos Truppen Menschen aus ganz China mit all ihren Koch- und Essgewohnheiten nach Taiwan flüchteten.

Chiang Kai-shek etablierte nach dem Vorbild von Sun Yat-sen, der 1911 den letzten Kaiser Pu Yi stürzte, auf der kleinen Insel zunächst eine stramme Rechtsdiktatur, die sich aber in den letzten 20 Jahren zu einem pluralistischen demokratischen Gemeinwesen entwickelt hat - dem ersten in der Geschichte Chinas. Dem auf Taiwan verehrten, 1975 verstorbenen Generalissimus verdankt das Land eine Sehenswürdigkeit von Weltrang: Denn er ließ rechtzeitig vor dem Einmarsch der Roten Armee in Peking ungeheure Schätze aus den Kaiserpalästen der "Verbotenen Stadt" nach Taiwan schaffen. Etwa 700.000 Kunstgegenstände aus der sechstausendjährigen Geschichte Chinas lagern im einzigartigen Nationalpalastmuseum in einem Vorort von Taipeh, der Großteil davon atombombensicher in riesigen unterirdischen Depots. Man hat errechnet, dass es 30 Jahre dauern würde, wollte man in einer monatlich wechselnden Ausstellung jedes Exponat nur kurz bewundern.

Im Hochgeschwindigkeitszug Reisfelder bewundern

Von Taipeh führt ein Hochgeschwindigkeitszug in den Süden der Insel. In den Zügen, die mit mehr als 300 km/h an Hochhaussiedlungen und Reisfeldern vorbei gleiten, hat Höflichkeit beim Bahnpersonal oberste Priorität. Die Schaffnerin macht vor dem Betreten des Abteils eine tiefe Verbeugung, ehe sie jedes Ticket wie eine kostbare Reliquie mit beiden Händen entgegen nimmt und kontrolliert. Dank der hypermodernen Züge, eines engmaschigen Flugnetzes und großzügiger Autobahnen erreicht man von Taipeh aus in Kürze alle wichtigen Sehenswürdigkeiten Taiwans.

Etwa die grandiose Taroko-Schlucht mit ihren Hunderte Meter hohen Felswänden aus reinem Marmor, den Nationalpark Kending an der Südspitze mit weißen Stränden und beeindruckenden Korallenbänken im glasklaren Pazifikwasser oder Tainan, die alte Inselhauptstadt, mit ihren bunten Tempeln und Festen.

10.000 Kilometer trennen uns von Taiwan. Etwa 13 Stunden dauert der Nonstop-Flug mit China Airlines von Wien nach Taipeh. Doch die lange Anreise lohnt sich. Denn Taiwan ist eben mehr, als eine Insel im geografischen Abseits. Es ist Chinas kleine, aber feine Schwester.