Majorelle, Yves Klein, Kobalt, Azur . . . Einer Dégradé-Robe aus Chanels Blau-Kollektion gleich, scheint es der Himmel über Reggio di Calabria mit der Farbschattierung auf die Spitze treiben zu wollen! Im Gegensatz zu Haute Couture hängt dieses blaue Dunkel aber blitzschnell über dem Lungomare - wie ein Billigtextil im Geschäft. Und dann ist es auch schon nass, sehr nass! Der erfrischende Wolkenbruch lässt selbst den elegant gewandeten Herren nicht kalt: "Bei uns regnet es nie. Aber wenn es regnet, dann regnet es!" Sagt's, gibt seinen Platz unter dem Vordach des Doms auf und hastet in das am Fuße der Treppe wartende Auto. Heftig schimpfend, wild mit den Armen fuchtelnd: Das Fräulein Tochter hätte doch wirklich und gefälligst mit dem Schirm herbeieilen mögen. Schließlich trägt man hier auch an klammen Donnerstagen zum Kirchgang den allerschönsten Sonntagsanzug.

Krieger von Riace

Mehrfach hatte die Kathedrale Maria Santissima Assunta Erdbeben weichen und neu aufgebaut werden müssen. Deshalb thronen die beiden größten Söhne der Stadt auch auf erdbebensicheren Podesten und haben ein wachsames elfenbeinernes Auge auf die staunenden Besucher im Museo Nazionale della Magna Grecia. Mehr als vier Jahrzehnte sind ins süditalienische Land gezogen, seit die griechischen Bronzen im Ionischen Meer vor Riace von Hobbytauchern entdeckt worden waren. Von ihrer Imposanz haben die stolzen Krieger seit dem 5. Jahrhundert vor Christus wahrlich nichts eingebüßt: an die zwei Meter hoch, jeweils 400 Kilogramm schwer - und so fabulös übertrieben detailverliebt gefertigt, dass man meinen möchte, soeben die Muskeln am historischen Sixpack zucken gesehen zu haben.

Ob es das ungestüme Gestikulieren vor der Kathedrale war, das den Regen verscheucht hat? Etwas weiter nördlich zeigt die südliche Sonne in Scilla jedenfalls, was sie kann, und taucht den Ort in warmes Fotolicht. Warm ums Herz wird es Feinschmeckern im "Il Casato", am Fuße jenes Hügels, wo nach Homer und seiner Odyssee die Ungeheuer Skylla und Charybdis über die Meeresenge von Messina wachten. Ganz und gar ungeheuerlich, was der Küchenchef hier auf die Teller zaubert. Der lässt Pasta nicht profan Pasta, Cannoli nicht schlicht Cannoli sein. Nudelteig wird nach altem Brauch um Stricknadeln gedreht und zur für die Region so typischen Fileja. Und selbst ein bodenständiges Cannolo bleibt nicht als Röllchen auf dem Boden, sondern wird in Scheiben gestapelt.

Ursprung süßer Träume

Einem kunstvollen Stapelbau ähnelt auch das Häuschenpotpourri, das einem von der Marina in Pizzo ins Auge sticht. Hoch oben auf dem Tuffsteinfelsen liegt das Ortszentrum. Es ist ein wohlklingender Schriftzug, der Wohlschmeckendes vorwegnimmt - und der einen auf Schritt und Tritt, von Haus zu Haus verfolgt: "I love Tartufo". An die Köstlichkeit, die aus der Kälte kommt, hat man hier nicht nur sein Herz verschenkt, Pizzo hat sie der Welt geschenkt, das Eis hier seinen Ursprung. "Raffaele" ist eine der vielen Anlaufstellen, wo man es sich auf der Zunge zergehen lassen kann. Giorgio betreut den Gastgarten und stellt klar: "Du kannst natürlich das mit weißer Schokolade probieren - für mich ist aber nur das mit dunkler richtiges Tartufo!" Und wie das richtig gemacht wird, zeigt die Mama. Auf eine ordentliche Portion Nusseis wird eine genauso ordentliche Portion zähe Bitterschokolade platziert und alles zu einer Kugel geformt.

Aber wie bleibt der süße Kern trotz frostiger Temperaturen flüssig? "Verrate ich nicht. Das ist unser Geheimnis!" Was mit den Eiskugeln passiert, sobald sie durchgefroren sind, wird aber verraten. Die Chefin schnappt sich Kakao und beginnt die Eiskugeln in eine gehörige Pulverwolke zu hüllen.

Übertrieben? Nein, ganz und gar kalabrisch, schlicht und ergreifend wie alles hier charmant-sympathisch auf die Spitze getrieben - auf die Stiefelspitze!