Am Balkon des Hotels „Le Baron Tavernier“ ist man versucht, sich selbst in den Arm zu kneifen. Einfach um sicherzugehen, dass die atemberaubende Szenerie Realität und nicht nur Traum ist: sattgrüne Weingärten, tiefblauer Genfersee, gewaltige Berge, die sich am Horizont kitschig in das schneebedeckte Mont-Blanc-Massiv verlieren.

Kein Wunder, dass sich im 17. Jahrhundert der Namensgeber dieses mondänen Hauses, Baron Jean-Baptiste Tavernier, eingefleischter Reisender und bedeutendster Diamantenhändler seiner Zeit, hier niedergelassen hat. Kein Wunder, dass dieses magische Fleckchen Erde an den nordöstlichen Ufern des Lac Léman, wie der größte See des Landes in der französischsprachigen Region korrekt heißt, von jeher Größen wie Charlie Chaplin bis Freddie Mercury in den Bann zog.

In Wahrheit hätte bereits die Anfahrt im Zug „Golden Pass Panoramic“ auf der legendären Bahnstrecke von Zweisimmen nach Montreux alle Sehnsüchte nach Schweizer Hochglanzbilderbuch gestillt.

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Im ersten Vollpanoramazug der Welt, der beachtliche Steigungen ohne Zahnradtechnik bewältigt, sitzt der Fahrgast förmlich in den Buchseiten und lässt Klischees, wie Kühe, sattgrüne Weiden, pittoreske Holzchalets und klassische Alpengipfel mit gemächlichen 40 km/h an sich vorüberziehen. „Wir sind auf den derzeit langsamsten Schnellzug sehr stolz“, lässt Nikolaus Mani von Montreux Berner Oberland Bahn (MOB) wissen.

Wein bis zum Wasser

„Die Schweizer lieben Superlative“, verrät Urs Weber vom Schweiz Tourismus. Und schon erfreut man am nächsten. Die säuberlich angelegten Weinterrassen, die spektakulär bis zum See herabfallen, gehören zur größten und wohl auch schönsten Weinregion der Schweiz: Lavaux, ob seiner Außergewöhnlichkeit seit 2007 in die Liste der Unesco-Naturerbe aufgenommen.

18 Kilometer lang erstrecken sich 10.000 steile Terrassen auf 800 Hektar. Einige der insgesamt 450 Kilometer langen Mäuerchen haben bereits Zisterziensermönche im 11. Jahrhundert errichtet. Nicht nur ein Paradies für Weinfreunde, sondern ebenso für Wanderer und Biker mit Vorliebe für spektakuläre Aussichten.

Die Reben von Lavaux gedeihen gleich unter drei Sonnen: der echten, der im See reflektierten und ihrer in den Steinmauern gespeicherten Wärme. Was dabei herauskommt, lässt sich wunderbar im Weinkeller „Bovy“, umgeben von über hundert Jahre alten, tausende Liter fassenden Eichenfässern, die liebevoll vom Großvater des Weinbauern bemalt wurden, degustieren. Am „Chasselas“, der hier weitverbreitetsten weißen Rebsorte, ist kein Vorbeikommen. Will auch keiner.

Auf dem richtigen Dampfer

Auf das Weinerlebnis folgt jenes zu Wasser. Vom Seeufer des mondänen Städtchens Vevey aus entzückt bereits der herannahende Schaufelraddampfer „La Suisse“. Gebaut 1910 und originalgetreu 2009 renoviert, wähnt er sich als „das schönste Dampfschiff der Welt“ und ist Teil der „prestigeträchtigsten und mit acht Prachtexemplaren größten Belle-Epoque-Flotte“. 

Bereits 1823 setzte man das erste Dampfschiff in den Lac Léman. Am edlen Deck ersten Klasse schwelgt man in Nostalgie, unter anderem beim Anblick des Rochers-de-Naye hoch über Montreux. Liebevoll von den Einheimischen als aussichtsreicher „Balkon der Riviera“ bezeichnet, wurde er einst gerne von der österreichischen Kaiserin Elisabeth während ihrer zahlreichen Aufenthalte erklommen. Sie hatte sich hier in die Natur und Luxushotellerie verliebt.

Vorbei geht es am mondänen Montreux, längst ein Synonym für Jazzfestivals, um schließlich bei der meistbesuchten historischen Sehenswürdigkeit der Schweiz anzulegen: dem mittelalterlichen Schloss Chillon, imposant auf einer Felseninsel gelegen. Einst im Besitz der Grafen von Savoyen, dann der Berner Landvögte und schließlich des hiesigen Kantons Waadt, wurde es noch vor dem Aufkommen des allgemeinen Tourismus zum Magnet für Künstler und Literaten- von Victor Hugo bis Lew N. Tolstoi. Berühmt machte es schließlich Lord Byron, der mit seinem Gedicht „Der Gefangene von Chillon“ seiner Faszination für dieses Kleinod Ausdruck verlieh. Sehr stolz ist man heute auf seine Unterschrift als Graffiti in den Gemäuern der einstigen Verliese.

Wieder zurück in Vevey taucht man ins quirlige Treiben des sommerlichen Folkloremarktes. Und vielleicht manifestiert das Erstehen einer Kuhglocke die Faszination Schweiz. Sie wird hier zuhauf angeboten – fast wieder ein Superlativ.